„Kaum einen Blick drauf werfen“

■ Im SPD-Präsidium hat der Kanzler das „Ja“ für sein Sparpaket bekommen. In Bundestag und Bundesrat wird es viel schwieriger

Der leitende Beamte des Finanzministers versuchte, Gelassenheit zu verbreiten. „Die Stunde der Parlamentarier schlägt später“, beschied er den wissbegierigen Abgeordneten. Manche der Mitglieder des Bundestages (MdB) fühlen sich jedoch eher so, als habe ihnen, den Gesetzgebern, das letzte Stündchen geschlagen: Was seit gestern in den Fächern der 669 Abgeordneten liegt, sprengt alles bisher Dagewesene.

Die Gesetzesvorlagen des „Zukunftsprogramms“ der Regierung verschieben gewaltige Geldbeträge: 30 Milliarden Mark an Kürzungen betreffen den Haushalt für das Jahr 2000. Rund 50 Milliarden Steuermark werden bewegt. Manche Abgeordnete sind darüber alles andere als vergnügt: „Wir haben das so spät bekommen“, empört sich eine Parlamentarierin, „dass wir kaum einen Blick drauf werfen können.“

Die parlamentarischen Beratungen werden sich zwar bis zur Verabschiedung im November hinziehen. Die entscheidenden Sitzungen aber waren bereits gestern abend (Koalitionsausschuss) oder finden übermorgen statt: Dann diskutiert die SPD-Fraktion den Entwurf von Finanzminister Eichel erstmals im Detail. Wenig Zeit also, um rund 600 Seiten der komplizierten Finanzmaterie durchzuarbeiten.

Vor der Sommerpause war es dem Finanzminister gelungen, seine Steuer- und Etatvorstellungen weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit niederzuschreiben. Nun erhält der Bundestag die gesamte Materie in vier Paketen: einem Haushaltssanierungsgesetz, das alle Kürzungen von 30 Milliarden Mark sichern soll. Dazu kommen ein Steuerbereinigungsgesetz, das Familienleistungsgesetz sowie das Ökosteuergesetz. Bundeskanzler Schröder erreichte gestern ein einstimmiges Ja zu dem Paket im SPD-Präsidium. In den Gesetzgebungsorganen ist eine Mehrheit jedoch nicht so einfach zu erzielen – auch nicht in den eigenen rot-grünen Reihen.

Wackelfreie Zustimmung signalisieren nur die Führungsleute der Regierungs-Fraktionen. „Es wird nicht sehr viele Änderungen geben – oder gar keine“, erhofft sich der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Hans Georg Wagner. Auch für die Fraktionschefin der Grünen, Kerstin Müller, „ist es klar, dass es bei dem vereinbarten Sparvolumen bleiben muss.“ Andere Parlamentarier sind keineswegs gewillt, auf ihre verfassungsmäßige Gewissensfreiheit bei der Abstimmung nur deswegen zu verzichten, weil Schröder und Eichel das größte Sparpaket der deutschen Geschichte verschicken wollen. „Es gibt kein Gesetz, das den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wurde“, sagt Ulla Schmidt (SPD). Die stellvertretende Fraktionschefin vertraut auf die Zusage des Finanzministers: Änderungen seien möglich – sofern sie das Einsparvolumen insgesamt nicht schmälern. Umstritten sind unter anderem die gebremste Rentenerhöhung, die Kürzung des Zivildienstes, die Wohngeldkürzung und Details der Familienentlastung.

Wie die Regierung das Paket durch den Bundesrat bringen will, ist völlig offen. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt sagte der taz, aus den vier Einzel-Paketen werde möglicherweise ein Mammutgesetz – ein gelbes Paketauto gewissermaßen, das der Bundesrat dann nur als ganzes durchwinken oder stoppen kann.

Der Kanzler gab sich salomonisch: Er befasse sich mit Problemen erst, wenn sie auftreten.

Christian Füller