: Rebellion der Pferdediebe
Am Ende geht es auch für die jungen Wilden darum, sich die Welt neu zu erfinden: Das morgen beginnende BerlinBeta-Filmfestival zeigt Filme jenseits des klassischen Mainstream-Kinos ■ Von Andreas Becker
Einige der Typen, die im Programmheft für das zweite BerlinBeta als Konferenzteilnehmer angekündigt werden, sehen schwer so aus, als würden sie von vielen der Jugendlichen in den Filmen des Betafilm-Festivals als miese Motherfuckers verachtet werden. Marc Wohlrabes BerlinBeta geht nach einem von der Resonanz her recht schwachen Start vor nicht mal einem Jahr in die zweite Runde. Etwas merkwürdig ist die neue Terminierung. Ob Medienleute und Phonoindustrielle knapp eine Woche nach der Kölner Popkomm Lust haben schon wieder in sogenannten Panels zu hocken, um sich über „Expansionsfinanzierung: Verkauf, Fusionierung oder Börsengang“ zu informieren? Oder sich den Kopf zu zermartern, ob sie nicht doch besser noch ein wenig länger an der Börse gezockt hätten mit ihrem kleinen Pixelpärkchen: „Are Europeans selling their companies too early?“ Oder hofft man auf „Synergieeffekte“ von der IFA?
Da geht man doch der Entspannung wegen und der Abwechslung halber gern mal ins Kino, und da sich die neuen Medien sowieso hauptsächlich visuell artikulieren, hat Wohlrabe auch noch ein kleines Filmfest unter dem Dach seines Medienfestivals installiert.
Und dessen Protagonisten sind häufig das krasse Gegenteil der scheinbaren Super-Winner, die Flyer-Verteiler und Diepgen-Berater Wohlrabe sich eingeladen hat. Andreas Döhler, Programmmacher in den Kinos Central und Eiszeit (und bis Anfang der Neunziger gefürchteter Splatter-Film-taz-Autor), hat zusammen mit Franz Stadler vom Filmkunst 66 ein Festival mit 60 Filmen zusammengestellt. Sogar ein Preis wird verliehen: Der „Babelsberg Independents Award“ soll den meist noch ohne Verleih dastehenden Filmen helfen, vielleicht doch noch regulär ins Kino zu kommen. Warum die Filme keinen Verleih gefunden haben, dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe, allerdings nicht den, dass sie einfach nicht für gut befunden wurden. Darauf legt Andreas Döhler Wert. Und er hat, das lässt sich jedenfalls nach Sichtung einiger Festivalfilme feststellen, ein richtig gutes Programm zusammengestellt.
Mögen die Sektionen mit „Independent Images“ und „XYouth 99“ auch etwas albern betitelt sein, so dürfte es in Berlin und wohl auch in Deutschland kaum ein Festival geben, wo in dermaßen komprimierter Form junge Autoren und Protagonisten zum Zuge kommen. Und auch wenn die jungen Wilden um sich ballern, als gelte es, alles Etablierte auf der Welt zusammenzuhauen, so wollen sie doch am Ende auch einfach nur ihre kleine Welt neu erfinden. Und damit fällt der oben behauptete Antagonismus zwischen Film- und Konferenz-Realität auch schon wieder in sich zusammen. Denn natürlich sucht die aufstrebende Medienbranche nichts sehnlicher als junge, knackige Rebellen mit Erfahrungen im Bereich Kreativität und Kenntnissen in HTML. Dabei kann es schon mal zu obskuren Neuerfindungen kommen, die beispielsweise in einem begrenzt denkenden, alles andere als global vernetzten patagonischen Dorf entstehen. In dem argentinischen Film „El Viento Se Lievo Lo Que“ gerät die junge Taxifahrerin Soledad in einen Ort, der vollkommen von der Welt abgeschieden ist. Aber es gibt einen Kinosaal. Hier verbringen die Dorfbewohner einen Großteil ihrer Zeit, und so reden sie dann auch mit fremden Frauen. Als Soledad mit einem jungen Mann in der Kneipe sitzt zitiert der ständig Filmdialoge, um sie ins Bett zu kriegen. Kein sehr erfolgreiches Unternehmen.
In einem Film, der wirkt, als hätte Emir Kustirica ihn sich mit ausgedacht, wandeln wir durch eine Welt aus lauter Absurditäten, in der der Einstein des Ortes zuerst die Relativitätstheorie, dann Freuds Traumdeutung („Alles ist sexuell“ schreiben die Leute auf ihre Schilder statt vorher „Alles ist relativ“) und dann auch noch die Lehren von Marx und Engels nacherfindet.
Sein Rekurs auf die Französische Revolution kommt allerdings sehr ungünstig: Als er seine Lehre „Alle sind gleich“ in Buenos Aires verkaufen will, war gerade Militärputsch, und er wird für seine Thesen inhaftiert und gefoltert.
In vielen der Filme geht es um Jugendliche. Ein besonders durchgedrehter Verein macht Dublin unsicher. In „Crush Proof“ von Paul Tickel kommt einer aus dem Knast und schon wenige Minuten später ist er wieder auf der Flucht. Nur weil er die Tür eintreten musste, um seinem Sprössling wenigstens die Hand geben zu können.
Es gibt eine Vergewaltigung eines Pferdediebs durch die junge Besitzerin der Gäule. Die zwingt den Dieb mit ihrer Flinte aufs Heu, sitzt schon bequem auf ihm, als das Opfer ihre Brüste angrapscht und belobigt. Das kann sie nun überhaupt nicht leiden: „Alle reden nur von meinen Titten.“ Die beiden werden trotzdem eine Art Paar. Mit ihren arbeitslosen Kumpels reiten, saufen und kiffen sie auf Gäulen durch Dublin und Umgebung, der beste Freund wird aus Versehen auf dem Pferd gehenkt, und die Bullen versuchen dauernd, die Flüchtigen per Handy zu erreichen. Und völlig klasse ist dann ein Riot, bei dem die Bewohner eines Vororts ihre Viecher aus den Transportwgen der Cops befreien. There's a horse riot goin' on!
Eine rasante Ladung jugendlichen Unmuts, die sich auch in dem japanischen Film „Pornostar“ entläd: In diesem Film hat man einfach Angst um alles und jeden. Ein Typ rennt wie gepanzert in seinem Kapuzenparka durch die Straßen, rempelt jeden an, der nicht ausweicht. So kommt es zu dem Zusammenstoß mit einem Yakuza, der ebenfalls jeden Lkw umrempeln würde. Der Parka-Typ wird zu den Yakuza eingeladen und sagt, er hasse Yakuza, die seien überflüssig. Aus irgendeinem Grunde wird er dann nicht gleich kaltgemacht. Aquarien und futuristische blaue Innenräume bestimmen das Bild, von den Tapeten wird einem schlecht. Und dann findet der Parkamann sogar eine Freundin.
Am Rande des Festivals kommt sogar Doktor Helmer zum Zuge. Der schwedische Dänenhasser schlurft in der zweiten Staffel durch Lars von Triers irre Krankenhausserie „The Kingdom“.
Wer einen Film ohne viele Tote sehen möchte, kann sich den niederländischen Film „Siberia“ anschauen. Hier zocken zwei Aufreißertypen Touristinnen ab, mit denen sie zuerst nett ins Bett gehen und ihnen dann die Kohle klauen. Aber dann kommt Lara. Die Frau aus dem Osten. Die dreht den Spieß so oft zwischen den Herren um, dass diese ziemlich alt aussehen. Ein Film mit ganz vielen Rucksäcken. Sollte Wohlrabe sein Beta irgendwann als Youngster-Leistungsshow an die Funkausstellung verkaufen – das Filmfestival sollte man auch ohne das Etikett „BerlinBeta“ weiterführen.
Vom 26. 8. bis 4. 9. in den Kinos Eiszeit, Filmkunst 66, Blow Up, Central und FaF, Termine siehe Cinema-taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen