: Mittelalter und Multimedia
Das Sommertheater-Festival geht mit Spitzentanz aus dem Westen und Respektlosem aus dem Osten in die zweite Woche ■ Von Stefanie Heim
„Wo ist Osten?“ fragt das 16. Internationale Sommertheater-Festival auch in der zweiten Woche, und nebenbei wird den Hamburgern gezeigt, wo der Westen tänzerisch steht. Zum Beispiel die längst weltberühmten La La La Human Steps aus Kanada. Ihr Choreograph Édouard Lock revolutionierte den zeitgenössischen Tanz einst durch seine geschraubten Luftrollen, das Fliegen und Fallen.
Diese Stilmittel sind in seinem neuen Stück Salt durchaus noch erkennbar, im Zentrum wird jetzt jedoch „Spitze“ getanzt. Auf solch brachiale und perfektionistische Weise allerdings, dass man in Kombination mit den Klängen sperrig-schriller Minimalmusik fast optischen Täuschungen zu erliegen vermeint. Dabei ist der Begriff „Salt“ auf ganz unterschiedliche Weise interpretierbar: vom Salz auf der ästhetisch schwitzenden Tänzerhaut bis zum notwendigen Salz in der Suppe, des Lebens gar: Salt ist ein Fest, ein Rausch, eine Liebeserklärung an den Tanz.
Westliche Dramenkunst im Spiegel des Ostens präsentiert die ungarische Moving House Theatre Company. Texte aus Samuel Becketts Endspiel finden sich in kleine Gedichte destilliert und mit anderen Variationen über das Absurde in Sound- und Wortgebilde verwandelt. Die 14 Akteure beschwören durch deklamatorischen Sprechgesang, Pop und Latin Jazz, Sakrales, ungarische Melodien und orientalische Wehmut eine äußerst skurrile Lyrik. Das geflüsterte und gezischte Ungarisch wird deutsch übertitelt, so dass bei den spektakulär dargebotenen Beckett-Songs jedem klar wird, wie respektlos hier mit dem Iren umgegangen wird.
Schon mal multimedial meditiert? Peeter Jalakas' Theaterstück aus Estland lädt dazu ein. 1996 wurde das ungewöhnliche Schauspiel direkt nach der Uraufführung ins La Mama Theater New York und ins Watermans Art Centre nach London eingeladen. Jalakas zeigt jetzt mit dem Von Krahl Teater Riga eine Neufassung der Estonian Games. Wedding. Die Geschichte Estlands läuft als Computerspiel auf einem riesigen Bildschirm im Sechs-Sekunden-Rhythmus ab. Hinzu kommen Schauspiel, Folkloretänze und gar ein Hochzeitsritual.
Noch weiter zurück in die Geschichte geht das bulgarische Sfumato-Theaterlabor. Ihr Stück Apokryph basiert auf frühmittelalterlichen häretischen Schriften, die damals ob ihrer ketzerischen Inhalte, die eigentlich nur mündlich überliefert werden sollten, revolutionäre Kraft basaßen. Benannt haben Margarita Mladenova und Ivan Dobtchev ihre Sfumato nach der duftig-wolkigen Maltechnik Leonardo da Vincis. Besonderes Kennzeichen der Inszenierung (wieder-um mit deutscher Übertitelung) ist die sehr lebendige, fast tänzerische Spielweise.
In einem Doppelprogramm sind Sasha Pepelyaev's Kinetic Theatre mit The View of Russian Grave from Germany und die deutschen Erstaufführung der neuen Arbeit eines russischen Tänzer- und Choreographenpaares zu sehen. Unter Autre Mi Na sind Natascha Kouznetsova und Mitia Fedotenko für zeitgenössischen russischen Tanz vom Feinsten bekannt. Mit dem Stück „Wersten und Distanzen“ bringen sie Erinnerungen, Träume und Hoffnungen auf die Bühne.
Beckett-Songs: Fr + Sa, 26. + 27.8., 20 Uhr, Kammerspiele The View of Russian Grave from Germany/Wersten und Distanzen: Fr 27.8., 22 Uhr, k1 Salt: Fr + Sa, 27. + 28.8., 20 Uhr, k6 Estonian Games. Wedding: Fr + Sa, 27. + 28.8., 20.30 Uhr, k2 Apokryph: Di + Mi, 31.8. + 1.9., 20.30 Uhr, k2
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen