Mörderisches Spiel

Barbara Neureiter setzt bei „Born Bad“ wieder geistig Behinderte ein. Warum wohl?  ■ Von Ralf Poerschke

Vor drei Jahren zogen unweit Krefeld die 19-jährigen Markus, Kerstin und Heiko los, um einen Bekannten zu ermorden. Einfach so. Aber eben nicht ganz, denn Markus und Kerstin sind ein Paar, und sie kennen Oliver Stones FilmNatural Born Killers auswendig. Markus und Kerstin sind Mickey und Mallory. Aber eben nicht ganz, denn den Kinohelden bekommt das Morden richtig gut. Markus und Kerstin haben Angst. Nach vier Tagen stellen sie sich der Polizei.

Michael Scherff und Nicola Thomas spielen Markus und Kerstin, die Mickey und Mallory spielen (und sich gut fühlen dabei). Wir befinden uns in der Bibliothek des Amerika-Hauses, die nicht mehr genutzt wird, weil das Amerika-Haus ansonsten leer steht und zum Abriß freigegeben ist. Nur dieser Tage wird hier Theater gespielt, kein gewöhnliches Theater, sondern das neue Stück der Hamburger Regisseurin Barbara Neureiter und ihrer Gruppe Babylon. Es heißt Born Bad und ist eigentlich gar kein Stück, und das ist nur eines der Probleme, die an diesem Abend nicht gelöst werden.

Versprochen wurde nicht weniger als die theatralische Erkundung des Bösen. Es sollte gehen um das große Warum des Tötens als Akt der Grenzüberschreitung. Nach den Motiven sollte geforscht werden, und das Textmaterial schien tauglich: Shakespearesche Mördermonologe, Interviews mit Serientätern, Dialoge aus dem Stone-Film, Sachtexte zu Hinrichtungsmethoden. Und dazu Anschauungsmaterial in Form ganz normaler „Outlaws“ (Neureiter): geistig Behinderte.

Beim zu Recht schwer umjubelten Babylon-Projekt Sommernachtstraum anno 1996 hatten die „Anstalter“, wie sie sich selbst nennen, klar definierte Rollen und Funktionen: Sie repräsentierten die (Shakespearesche) Ebene des Waldes und seiner märchenhaften Bewohner, die Sphäre außer Kraft gesetzter Konventionen, eine Nebenrealität, und sie spielten die Handwerkertruppe, die über sich hinaus-,in die Theaterkunst hineinwächst. Die inhaltliche Kohärenz war gewährleistet durch die bei aller Verfremdung aufrecht erhaltene Handlungsstruktur einer der besten Komödien aller Zeiten.

Born Bad besitzt keine Struktur in diesem Sinne. „Richtig“ gespielte (Mord-)Szenen, Alltagssequenzen, choreografische Elemente und Gesangseinlagen wechseln unvermittelt und stehen oft unverbunden nebeneinander. Dieses Choas (vergeblich) zusammenzuhalten trachtet Stefan Kurt, der Sommernachts-Puck, der irgendwo zwischen Conférencier und Talkmaster agiert. Den Wald als Tatort installiert er nachträglich aus Laub, Müll, Theaterblut und künstlichem Gedärm, allein der eigentliche Wald liegt draußen vor der Tür, unwirklich erleuchtet, durch die Fensterscheiben vom Publikum nur zu erahnen; immer wieder flüchten die Akteure dort hinaus.

Und wo sind die Behinderten? Mittendrin und überall. Welche Rollen spielen sie? König, Mörder, sich selbst. Welche Funktion erfüllen sie im Neureiter-Konzept? Die Regisseurin notierte in der Vorbereitungsphase zu Born Bad: „Die unerschöpflichen Diskurse zum Thema ,Ist der Mensch von Grund auf böse oder gut?' erhalten durch die Teilnahme von geistige Behinderten eine neue Dimension: wenn es eine Grunddisposition gibt, die nicht durch Erziehung verfälscht, durch Bildung gelenkt oder durch Intelligenz beeinflußt werden kann, dann würde bei diesen Menschen diese Disposition deutlicher sichtbar werden müssen.“

So etwas zu behaupten und in der eigenen Arbeit eingelöst zu wähnen, ist natürlich halsbrecherisch, vermessen, unwissenschaftlich und unterschwellig diffamierend: als lägen zwischen Persönlichkeitsstörungen und geistigen Behinderungen nicht Welten. Doch Barbara Neureiter ist eh von ihrer Ursprungskonzeption abgewichen, und mithin fragen wir unvoreingenommen ein zweites Mal: Wozu dienen die Behinderten?

Ohne sie wäre Born Bad ebenso wenig erkenntnisfördernd, Markus und Kerstin blieben gleichfalls unerklärt. Mit ihnen aber ist der Abend entsetzlich schamlos. Über die Behinderten wird gelacht, weil sie behindert sind. Neureiter stellt sie auf die Bühne, um ihr mörderisches Spiel besser verkaufen zu können. Einfach so. Viel zu einfach. Applaus! Abtreten!

27. bis 29. August, 20 Uhr, Amerika-Haus, Tesdorpfstr. 1