Der Kreml zwischen zwei Fronten

In Russland formiert sich das rechte politische Lager – zum Unbehagen des Kreml. Vereint im Bündnis mit der liberalen Partei Jabloko will jetzt auch Ex-Premier Sergej Stepaschin bei den Duma-Wahlen antreten  ■   Aus Moskau Barbara Kerneck

Am russischen Polithimmel ist ein zweites Doppelgestirn aufgegangen. Russlands neuester Ex-Premier Sergej Stepaschin gesellte sich am Mittwoch als Alliierter zu Grigori Jawlinski, dem Führer der sozialliberalen Partei „Jabloko“. Die Nachricht über das Tandem Stepaschin/Jawlinski schlug diesmal in Moskau ein wie ein Komet.

Sergej Stepaschin galt als wichtigste Figur im Schachspiel des Kreml, dessen Hofschranzen als Gegengewicht gegen den Anti-Jelzinschen Block Luschkows eine rechtszentristische Koalition zusammenschmieden wollten. In den drei Monaten seiner Premierschaft hatte sich der Ex-Geheimdienstler und Ex-Innenminister als gebildet, schlagfertig und witzig erwiesen. Kaum versah ihn der Präsident per Entlassung mit einer Märtyreraureole, da stieg Stepaschins Popularitätskurve schon steil an. Sie endet heute ein Stück weit hinter derjenigen des beliebtesten russischen Politikers, Jewgeni Primakow.

Nach seiner jüngsten Allianz gehört „Jabloko“ nun, neben der kommunistischen Partei und dem Luschkow/Primakowschen Block „Vaterland/Regionen“, zu den drei vielversprechendsten Wählervereinigungen bei den bevorstehenden Duma-Wahlen.

Das Wörtchen „rechts“ bezeichnet im neurussischen Sprachgebrauch einen strikten britischen Liberalismus im Stile des 19. Jahrhunderts. Als VertreterInnen dieser Richtung empfinden sich zum Beispiel Nischni Nowgorods Ex-Gouverneur Boris Nemzow und Russlands Geschäftsfrau Nr. 1, Irina Hakamada. Auch die „Rechten“ der russischen Szene haben sich diese Woche für die Wahlen formiert. Hakamado und Nemzow vereinten ihre Wählergruppen mit der Zwergpartei des drittletzten Ex-Premiers, Sergej Kirijenko. Gemeinsam betreiben sie eine aufwendige, speziell auf ein jugendliches Publikum ausgerichtete Sympathiewerbung – mit Rockkonzerten, Kussmarathons, Balletteinlagen der SpitzenkandidatInnen und Bergen von T-Shirts mit der Aufschrift: „Du hast recht“. Im Russischen ist diese Aussage gleichlautend mit: „Du bist rechts“.

Für „zentristisch“ halten die russischen Zeitungen nur noch die Partei „Unser Haus Russland“. Lange hat sie all jene vereint, die an der Macht waren: hochgestellte Bürokraten. Nachdem aber ihr Anführer, Wiktor Tschernomyrdin, im Frühjahr 1998 bei Jelzins in Ungnade fiel, schrumpfte die Popularität seines Wahlblocks rapide. Nach dem Scheitern der vom Kreml geförderten Koalitionsverhandlungen zwischen „Rechten“ und „Unser-Häuslern“ am vorigen Wochenende, wurde Stepaschin plötzlich als freies Radikal in die russische Politlandschaft geschleudert.

Allerdings liebäugelte der jüngste Ex-Premier auch vorher schon mit „Jabloko“. Doch unlängst nahmen der Chef der Administration des Präsidenten, Alexander Woloschin, und Anatoli Tschubais Stepaschin in die Zange. Tschubais' gegenwärtiger Job tut nichts zur Sache. Für den langjährigen Unterhändler Russlands bei dem Weltwährungsfonds ist es inzwischen schon zu einem Beruf für sich geworden, einfach „Tschubais“ zu sein.

Natürlich wüssten alle russischen BürgeInnen gerne, womit die beiden den bekannten Anti-korruptionskämpfer Stepaschin erpressten? Jedenfalls nahm der den von ihm selbst ausgegangenen Vorschlag zur Zusammenarbeit gegenüber Jabloko-Führer Jawlinski danach erst einmal zurück. Auch Jawlinski ließ das Visier herunter und erklärte, er könne es sich nicht leisten, einen Mann in die eigenen Reihen aufzunehmen, der „als Offizier jedem beliebigen Druck aus der Umgebung des Präsidenten nachgeben muss“.

Das erneute Zusammengehen in dieser Woche wurde durch ein Mehrpunkte-Abkommen abgesichert, welches Sergej Stepaschin am Mittwoch beflissen vor der Fernsehkamera aufsagte. Demnach verpflichtet sich der Ex-Premier, die Koalition mit „Jabloko“ vor den Parlamentswahlen nicht aufzukündigen. Im Falle eines positiven Resultats, will er – obwohl nicht Parteimitglied – als Jabloko-Deputierter in der Duma arbeiten. Stepaschin ist heute bereit, den Tschetschenien-Krieg als „historischen Fehler“ zu verurteilen, an dessen Vorbereitung russischerseits er maßgeblich beteiligt war. Jabloko-Jawlinski betonte, man wolle das Vergangene vergangen sein lassen und sich künftig dem gemeinsamen Kampf gegen die Korruption in der russischen Gesellschaft widmen.

A propos Korruption: Der Kreml sieht sich seit Mittwoch nicht nur zwischen zwei politischen Fronten eingeklemmt. Ja, einerseits ist da die Kreml-entlarvungswütige Luschkow-Primakowsche Vereinigung „Vaterland/Ganz Russland“, andererseits lauert der Bund zwischen Stepaschin und Jawlinskis Jabloko. Schlimmer als dies alles dürfte die „Familie“ aber eine Veröffentlichung in der itaienischen Zeitung Corriere dela Sera treffen. Die veröffentlichte Interviews mit Mitarbeitern und Strohmännern der Lausanner Baufirma Mabetex, die Millionen an der Renovierung des Kreml verdiente. Da heißt es, Mabetex habe Jelzin und seinen beiden Töchtern während einer Ungarn-Reise ein Konto von einer Million Dollar für „laufende Ausgaben“ zur Verfügung gestellt.