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Der Riesenalk kehrt trotzdem nicht zurück

Briefe aus Island (II): Vor zwei Jahren verkauften die Isländer ihre Gen-Codes an einen Pharmakonzern. Sie selbst haben davon wenig: Ein Antischnupfenmittel wird gar nicht gesucht, und ausgestorbene Vogelarten werden auch nicht zurückgewonnen  ■   Von Wolfgang Müller

Grell knallt die Sonne vom wolkenlosen Himmel herunter auf den grauen Asphalt vor Islands Genforschungslabor am Lýngháls. Sommerblumen überall: Gelbe Trollblumen, roter Storchschnabel und blaues Männertreu. Etwa zwanzig Menschen, mehrheitlich Frauen, sitzen auf der Bordsteinkante vor dem Eingang. Sie essen Pausensandwich, trinken Apfelsaft, unterhalten sich oder genießen die Sonnenstrahlen.

Das also ist der Eingang von Decode Genetics, dem umstrittenen Projekt des isländischen Professors Kári Stefansson. Vormals Mediziner an der Harvard-Universität, gründete er 1996 die Unternehmung, die heftigste Diskussionen im In- und Ausland entfachte. Die Institution des als wortkarg und ehrgeizig geschilderten Professors sammelt die genetischen Codes der Isländer, um anhand von DNA-Vergleichen genetisch vererbbaren Krankheiten auf die Spur zu kommen. Besonders interessant für dieses Projekt sind die Isländer deshalb, weil sie wie kein anderes Volk ihren Stammbaum bis zur Zeit der Besiedlung um das Jahr 875 und teilweise sogar noch vorher, bis nach Norwegen, zurückverfolgen können.

Die Kontaktaufnahme indes zu Íslensk erfdag, so der isländische Name des Unternehmens, gestaltete sich anfänglich eher etwas kompliziert. „Was genau wollen Sie wissen?“ fragte eine Dame am Telefon. „Wie heißt die Zeitung?“ fragt eine andere. „Rufen Sie morgen noch einmal an“, so eine Dritte. Die kritische Berichterstattung im Spiegel und in einem deutschen Fernsehmagazin hat hier ein gewisses Misstrauen hinterlassen.

Erstaunlicherweise gestaltet sich der Zugang zur Anmeldung umso unkomplizierter. Diese ist nämlich ebensowenig gesichert wie die Residenz des isländischen Präsidenten in Bessastadir. Knallrote Tulpen auf schwarzem Grund zieren das Kostüm der Empfangschefin. Im blonden, gescheitelten Haar trägt sie eine kleine goldene Spange. „Hier, ihr Besucherausweis“, lächelt sie fröhlich, „heften Sie ihn an das T-Shirt.“ Dann wendet sie sich wieder dem Computer zu. Nach kurzer Zeit erscheint Sigrun. Die Pressereferentin wird mich durch die Labore führen. „Ja, Sie können fotografieren, wenn die Mitarbeiter damit einverstanden sind“, beantwortet sie meine erste Frage. Sie selbst möchte allerdings nicht fotografiert werden. „Wir arbeiten mit öffentlich zugänglichen Informationen“, klärt sie mich über den Charakter der Datensammlung auf. Die Familiengeschichte sei dabei wichtig und in ihr auftretende Krankheiten. Die DNA werde isoliert und in Verbindung mit dem Familienstammbaum gesetzt. „Die Presse hat mehrfach fälschlich behauptet, wir betrieben eine DNA-Bank.“ Dieser Mythos geistere noch immer herum. Tatsächlich habe Decode Genetics keinen direkten Draht zu den Patienten und erhalte nur verschlüsselte Informationen, betont Sigrun und betätigt eine Zahlenkombination, die uns den Weg in die Laboratorien öffnet.

Innerhalb des Projektes arbeiten fünf bis fünfzehn Wissenschaftler an einer der 35 untersuchten Krankheiten. 300 Mitarbeiter mit akademischem Status sind in den Labors des Unternehmens beschäftigt, darunter 60 Ärzte. „Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeiter liegt bei 35“, sagt Sigrun. Deutlich mehr Frauen als Männer sind offensichtlich in den Laboren zugange. „So ist es“, nickt Sigrun, „allerdings sind auch viele Laborassistentinnen darunter.“ In den Laboren werden Krankheiten auf ihre genetischen Ursachen hin untersucht, von der Parkinsonschen bis zu Nerven- und rheumatischen Krankheiten. Das geschieht durch Vergleiche auf Ähnlichkeiten des Genmaterials. Vor einem Jahr schloss Decode Genetics einen auf fünf Jahre befristeten 200-Millionen-Dollar-Vertrag mit dem Schweizer Pharmaziegiganten Hoffmann-La Roche ab. Die aus der Zusammenarbeit entstehenden Medikamente sollen dem isländischen Gesundheitssystem kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Erfolge seien bereits erzielt: „Dr. Bragi Gudmundsson hat große Fortschritte bei der Lokalisierung eines Genareals gemacht, welches für Osteoarthritis, eine Knochenkrankeit, verantwortlich ist.“ Und auch bei einer zweiten Krankheit sei man fündig geworden. „Wollen Sie mal sehen, wie die DNA aussieht?“ fragt Sigrun und geht in Richtung eines Kühlschranks. „Eigentlich ist das geheim ...“ Sie öffnet die Tür und greift ein kleines Fläschchen mit rotem Stöpsel und wasserklarer Flüssigkeit heraus: „Hier unten, da ist es!“

Nicht zu fassen, winzig kleine transparente Fädchen wie leicht Gefrorenes schweben im unteren Teil des Glases herum. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt, viel winziger, eigentlich eher unsichtbar. Höchstens über das Elektronenmikroskop zu erkennen. Wem diese schwebenden Dinger wohl gehörten? „Zwölf Jahre können wir mit den Daten arbeiten. Es ist ein befristetes Abkommen, das wir mit dem Gesundheitsministerium abgeschlossen haben – und wie gesagt, die klinischen Daten sind durch Nummern und Codes verschlüsselt“, betont Sigrun erneut. „Decodiert wird nur in eine Richtung!“

Und wieder öffnet sich eine Tür: Keine Menschen hier zu sehen, nur Reihen von weißen Kästen mit Glasfront, Mikrowellen gleich, in denen eine Maschinenhand unentwegt dünne Stäbchen in irgendetwas hineinsteckt. „Roboter, ich nenne sie biologische Fotokopiermaschinen“, so Sigrun, die mich nun in die Betriebskantine führt. „Das ist Thorlákur Jónsson, der Chef des Laboratoriums“, stellt sie mir nun einen Herrn im weißen Kittel vor, der mir rät, doch lieber den Filterkaffee aus der Kanne zu nehmen. „Der ist besser als der aus der Maschine.“

Nach der Kaffeepause führt er mich in sein Büro, das hinter dem Empfang liegt. Das Projekt bedeute für Island natürlich eine große Veränderung, führt Thorlákur aus und schaut mich etwas gedankenverloren an. Viele isländische Wissenschaftler, die ins Ausland, vornehmlich in die USA gegangen sind, seien nun zurückgekommen. Ob die alten Aufzeichnungen und Familienchroniken aus dem Mittelalter denn für die Genforschung überhaupt verwertbar seien, möchte ich wissen. „Nun, die Sprache ist sicher anders als die, die wir heute verwenden. Aber es gibt diese Berichte. Die Isländer beschrieben alles ganz genau, auch Krankheiten und das Aussehen ihrer Vorfahren. Aber eigentlich benutzen wir das nicht, obwohl in diesen Aufzeichnungen gewisse Hinweise stecken.“

So hätte Snorri, der Skalde, mit dem Bein gehinkt oder Egill, der Rächer, eine große Nase gehabt, zum Beispiel. Thorlákur schneuzt in ein Taschentuch. Ich wage eine persönliche Frage: Ob der Riesenalk, der flugunfähige Alkenvogel, dessen letzte zwei Exemplare 1844 von isländischen Fischern für die Vogelbalgsammlung eines dänischen Naturforschers erschlagen wurden, in den Labors von Decode Genetics vielleicht in ferner Zukunft irgendwie rekonstruiert werden könnte? Immerhin liegen die beiden letzten ihrer Art mitsamt der Innereien heute in einem Formalingefäß in Kopenhagen. „Nein, leider nicht“, sagt Thorlákur und lächelt, „ich wünschte, wir könnten das.“ Dann zupft er an seiner leicht geröteten Nase. „Suchen Sie auch nach einem Mittel gegen Schnupfenviren?“ möchte ich wissen. Thorlákur schüttelt den Kopf. „Nein, nein, ich habe eine Pollenallergie.“

Entschiedene Gegner findet die Unternehmung vor allem bei der neugegründeten Grünen Partei. Fraktionsmitglied Kolbrún Halldórsdóttir misstraut Decode Genetics: „Ich möchte nicht, dass mein Kind später benachteiligt wird, also beispielsweise keinen Job bekommt, weil sein Großvater irgendeine Krankheit gehabt hat.“ An die Sicherheit der Daten glaubt sie nicht. „Wo gibt es denn diese absolute Sicherheit? Nirgends!“ Auch der ehemalige Generalsekretär der Linkssozialisten, Heimir Már, heute im Computerwesen beschäftigt, ist skeptisch: „Die Regierung hat den Schlüssel zu den Daten. Regierungen kommen und gehen. Ich gebe mein Vertrauen keiner Regierung, die ich noch nicht kenne.“ Besonders merkwürdig findet er, dass er selbst aktiv werden musste, um nicht erfasst zu werden. In der Tat müssen die Isländer, die nicht in die Untersuchung einbezogen werden wollen, Einspruch erheben. Bisher haben das 12.000 der 270.000 Einwohner gemacht. Peanuts für Decode Genetics.

„Die Beisetzung der Urne findet am Mittwoch statt“, sagt Fernsehdolmetscher Veturlidi Gudnason, legt das Manuskript aus den Händen und schüttelt den Kopf. „Ist das nicht dumm? Eine Urne kann man doch nicht beisetzen, oder?“ Er ist gerade dabei, eine Derrick-Folge ins Isländische zu übersetzen und trägt ein T-Shirt mit schematisierten Genstrukturen. Auf schwarzem Grund befinden sich mehrere miteinander verbundene Vierecke, von denen einige schwarz ausgefüllt sind. Ein Geschenk der Forschungsanstalt an die Teilnehmer ihrer Untersuchungen.

Die Bedenken um die Sicherheit der persönlichen Daten teilt der Übersetzer nicht: „Siehst du diesen blonden Mann?“ Soeben kommt ein drahtiger Typ im roten Trainingsanzug mit einer Adidas-Tasche aus dem Schwimmbad und steigt in seinen Volvo. „Du möchtest etwas über ihn wissen?“, fragt er. „Ganz einfach: Notiere sein Autokennzeichen. Du rufst bei Upplýsingar an, der Autoregistrierung. Sie geben dir ohne Umschweife den Namen und die Adresse des Autoinhabers. Mit dieser Information rufst du im Nationalregister, dem Thódskrá, an und erhältst die Personennummer und erfährst, woher der Blonde kommt, wie alt er ist, ob er verheiratet ist oder ledig, wie seine Eltern heißen und welcher Glaubensgemeinschaft er angehört. Das alles gibt es aber auch bereits auf CD-ROM. Und wenn dich schließlich interessiert, wie es um ihn finanziell bestellt ist, informiert dich das Fasteignamat, das Grundbuchamt. Sie erzählen dir gerne, ob er eine Wohnung besitzt und wieviel sie wert ist. Und das Schöne ist: Niemand hat überhaupt gemerkt, dass du danach gefragt hast!“

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