: Die Geldwäscher vom Roten Platz
Derzeit häufen sich Berichte über kriminelle Machenschaften hochrangiger russischer Politiker und Banker. Auch der Jelzin-Clan ist im Visier. Damit setzt Moskau ausländische Kredite aufs Spiel ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
In ihrem gestrigen Leitartikel beschreiben die Herausgeber der englischsprachigen Tageszeitung Moscow Times alle Vorzüge, die das Blatt seinen Abonnenten bisher so lieb und wert gemacht haben. Von der gewohnten Zeitung, so heißt es da, müssten ihre Leser nun Abschied nehmen: „Erlauben Sie uns, Ihnen unser neues Blatt vorzustellen: die „Geldwasch-Times“. Kein Tag wird ohne einen massiven Artikel auf der ersten Seite vergehen, in dem Anschuldigen gegen hochgestellte russische Regierungsbeamte spezifiziert werden, Unterschlagung, Betrug, Korruption und – jawohl – Geldwäsche.“ Was hier scherzhaft auf den Punkt gebracht wurde, trifft für jede in Moskau erscheinende Zeitung zu. Sie alle veröffentlichen, diskutieren und analysieren auf den Frontseiten täglich Berichte westlicher Blätter über die geheimen Konten russischer Politiker, Bankiers und Mafiosi in der Schweiz und in den USA.
Das kollektive Fieber brach am 19. August aus, nach einem doppelten Paukenschlag. Ein Autor des Schweizer Nachrichtenmagazin Facts berichtete an diesem Tag, dass auf Schweizer Banken Konten im Werte von ca. 70 Millionen Dollar von der Staatsanwaltschaft gesperrt worden seien. Der Verdacht bestehe, dass man sie zu Zwecken der Geldwäsche und Unterschlagung benutzt habe.
Drei Inhaber angeblich gesperrter Konten wurden da benannt: die Firmen Andava und Forus und der russische Magnat Boris Beresowski. Beresowski gehört zu jener Gruppe von Leuten um Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko, die man in Moskau „die Familie“ nennt und von denen man annimmt, dass sie die Politik des Kreml maßgeblich beeinflussen. Die Firmen Andava und Forus gelten als Schleusen, durch die die in westlichen Währungen erzielten Einnahmen der Fluggesellschaft Aeroflot in die Schweiz geleitet wurden. Beresowski ist der einflussreichste Aktionär der Aeroflot. Ihr Generaldirektor ist Waleri Okulow, der Ehemann von Jelzins zweiter Tochter, Jeljena Okulowa.
Noch am gleichen Tage sorgt in Russland ein Artikel in der New York Times für Wirbel. Ihmzufolge habe eine Überprüfung der „Bank of New York“ ergeben, dass in einer der traditionsreichsten kommerziellen Banken der USA Milliarden von Dollar der russischen Mafia gewaschen wurden. Dabei seien über ein einziges Konto von Oktober 1999 bis März dieses Jahres im Verlaufe von über 10.000 Transaktionen 4,2 Milliarden Dollar gelaufen. „Wir haben es mit dem Eindringen des russischen organisierten Verbrechens in eine der wichtigsten amerikanischen Finanzinstitutionen zu tun“, schreibt die New York Times.
Den dritten Schlag führt Mittwoch der italienische Corriere de la Sera. Dieser richtet sich zum ersten Male direkt gegen Präsident Jelzins Familie – im biologischen Sinne des Wortes. Die Zeitung veröffentlicht Indiskretionen über die Untersuchung, die die Schweizer Generalstaatsanwältin Carla del Ponte seit geraumer Zeit gegen hohe Kreml-Beamte führt, und zwar im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Luganer Baufirma Mabetex.
Die Mabetex erhielt in den 90er Jahren Millionenaufträge zur Renovierung des Kreml. Nach den Informationen des Corriere de la Sera soll die Mabetex Jelzin und seinen beiden Töchtern während eines Ungarn-Aufenthaltes Firmen-Kreditkarten für ein Budapester Konto überlassen haben. Das sei mit einer Million Dollar gedeckt gewesen und habe zur „Begleichung kleinerer Ausgaben“ der Präsidentenfamilie gedient. Djatschenko habe an einem Tage 13.000 Dollar abgehoben.
Als viertes internationales Blatt stieg am Donnerstag USA Today in die Kampagne ein. Die Zeitung lieferte neue Details der Affäre bei der „Bank of New York“ und der ebenfalls in New York registrierten „Republic National Bank“. Sie nennt die Gesamtsumme von 15 Milliarden dort gewaschener Dollar. Nach ungenannten Quellen, unter anderem im British National Intelligence Service, wird im Zusammenhang damit gegen fünf in Russland hochgestellte Personen ermittelt: Tatjana Djatschenko, die Ex-Vizepremiers Anatoli Tschubais und Oleg Soskowjez, den ehemaligen Finanzminister Alexander Liwschitz und Oligarch Wladimir Potanin.
Gemeinsam ist all diesen Informationen, dass sie nur auf Quellen in den Staatsanwaltschaften oder Geheimdiensten verschiedener Länder beruhen können. Natürlich bestreiten deren Pressesprecher unisono, dass es zu Indiskretionen gekommen sei. Mit Dementis werfen auch die in den Artikeln figurierenden Personen um sich. Die russische Öffentlichkeit aber glaubt alles unbesehen.
Die „Bank of New York“ hat inzwischen zwei Managerinnen suspendiert. Eine ist Natascha Gurfinkel-Kagalowski (37), bisher Leiterin der Osteuropa-Abteilung der Bank. Ihr Ehemann, Konstantin Kagalowski, heute Vizepräsident der russischen Ölgesellschaft Yukos, war in den Jahren 1992 bis 1995 russischer Vertreter beim Internationalen Währungsfonds.
Der Bankenausschuss des US-Repräsentantenhauses hat die Affäre für Mitte September auf seine Tagesordnung gesetzt – um zu klären, ob IWF-Gelder über die New Yorker Banken geleitet wurden.
Ex-Premier Sergej Stepaschin konstatierte, dass Jelzin und seine Umgebung in der politischen Landschaft Russlands ziemlich isoliert dastehen. „Sie müssen sich ernsthaft nach einer politischen Kraft umsehen, die noch Sympathien für sie hegt“, sagte er. Wenn sich die Public Relations der „Familie“ weiter so entwickelt, drohen dem Präsidenten alle Felle davonzuschwimmen – nicht nur die Sympathien, sondern auch die im September fällige nächste Rate des IWF-Kredites.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen