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Ein echter Oldtimer in Peking

Wie der deutsche Altbundeskanzler ein neues Selbstverständnis als Globalkritiker entwickelt und doch seinem eigenen Horizont treu bleibt  ■   Aus Peking Georg Blume

Ist das noch Helmut Kohl, wie wir ihn kennen, der sich mit Willy Brandt vergleicht und die Amerikaner zum weltpolitischen Umdenken auffordert? Einer, der sich die alte Kritik der Linken am Einfluss der amerikanischen Rüstungslobby zu eigen macht und Nachrichtendienste ganz generell für nutzlos hält? Der über die Kardinalfehler des Kosovo-Krieges spricht, als wolle er, der ewige Nato-Getreue, dem westlichen Bündnis nun Lektionen erteilen?

Nein, der Altbundeskanzler war ein anderer. Zumal auf seinen zahlreichen Reisen in den Fernen Osten schlüpfte Kohl im Amt nie aus der Haut des ersten Angestellten der Deutschland AG. Unvergessen sein Auftritt in Tokio, als er gerade die Amtsdauer Adenauers überschritt und auch beim Sushi unnahbar blieb. Erst jetzt, auf seiner ersten Asienreise als „Doktor Kohl“, die auch seine Rückkehr auf die Weltbühne als elder statesman bedeutet, legt der Mann sein Kostüm ab: Er gibt Meinungen und Ansichten preis, die vorher nicht einmal in den Kolumnen der ihm geneigten Presse zu lesen waren.

Hat man etwa je davon gehört, dass sich Kohl auf die guten Sitten seines Vorvorgängers Brandt beruft? Der war bekannt dafür, dass er die Weltbühne nicht dafür missbrauchte, seine innenpolitische Position auszubauen. Kein Wort also von Kohl über die Anfänge der Berliner Republik. Dafür umso mehr Aufklärung über die Weltlage, wie sie einer sieht, der sich nicht scheut, über Krieg und Frieden zu reden.

Peking ist deshalb als erster Auftrittsort des Globalkritikers Kohl sorgfältig ausgewählt. Der Dicke will aus seinem Panzer schlüpfen.Und hier, am Mittelpunkt der Alten Welt, kann er als Historiker dem Gefängnis der eigenen Geschichtsfunktion mühelos enteilen. Die Größe Chinas relativiert auch die des Deutschen.

All die alten Geschichten aus Rheinland-Pfalz und dem Kaukasus – Kohl weiß selbst, dass sie nicht hierhin gehören und er gekommen ist, um anderes zu sagen: Schaut Euch die neue Welt an! Der Westen regiert sie nicht allein! Gebt den Chinesen recht, wenn sie von einer neuen, multipolaren Weltordnung sprechen! Hängt euch nicht an die Lippen der Amerikaner! Denkt an die Unwiederbringlichkeit der alten Sicherheit! So möchte man den Oldtimer aus Oggersheim verstehen, wenn er die Welt nicht mehr aus der praktischen Perspektive der deutschen und europäischen Einigung versteht, sondern nach höherer Erkenntnis sucht.

Wie schwer es dabei fällt, die alten Bilder zu vergessen, die die Jüngeren nicht mehr verstehen – davon spricht der Historiker Kohl in Peking mit entwaffnender Offenheit. Er weiß, dass sein Weltbild überkommen ist. Als wäre er selbst von der Vergänglichkeit seines eigenen politsches Werkes überzeugt, setzt er auf die Aussöhnung mit China als Zukunftswerk – damit der Grundgedanke überlebt, der Adenauer und ihm die Beziehungen zu Frankreich und Russland gestalten half. Einer Madeleine Albright und einem Tony Blair darf sich Deutschland aus seiner Sicht nicht beugen. Friedenspolitik im großen Maßstab – das muss es schon sein für einen wie ihn.

Ganz unabhängig davon berichtet Kohl von seinen Gesprächen mit der obersten chinesischen Führung: Er erkennt einen wiedererstarkten Premierminister Zhu Rongji. Den Reformerstar sahen andere bereits von der Parteiführung kaltgestellt. Und er dementiert jede Kriegsgefahr zwischen China und Taiwan. Es klingt alles ein klein bisschen zu unbesorgt. Kohl ist kein Chinakenner. Dabei wird klar: Vom Deutschland- und Europa- zum Weltpolitiker, der den Namen verdient, ist es ein weiter Weg. Kohl weiß, dass er ihn nicht mehr gegangen ist und fürchtet, dass auch seine Nachfolger ihn nicht finden werden.

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