: Goethe gucken
■ Fescher Faust vor Bambus und lamentierende Weiber zwischen Fernsehern: Zwei enttäuschende Uraufführungen in Weimar
Zwei halbseidene Vorstadtstrizzis gehen auf die Piste. Blond gefärbt, im silbrig glänzenden Kunststoffanzug der eine; im schwarzen Smoking, mit blitzenden Augen unterm schwarzen Krusselhaar der andere: Faust und Mephisto nach der Hexenküche. Später tragen beide je eine weiße und eine schwarze Maske, einer guckt nach vorn, der andere nach hinten. Und als Faust stirbt, legt sich Mephisto auf ihn und verschmilzt mit dem Toten. Faust I und II in weniger als drei Stunden!
Für den 250. Geburtstag ihres Tourismusmagneten Goethe hat sich Europas Kulturhauptstadt Weimar nach bereits mehr als einem halben Dutzend Faust-Gastspielen noch mal etwas Besonderes eingekauft: die Uraufführung einer Faust-Interpretation des Theatre du Synge aus Tokio in Koproduktion mit dem Bulandru Theater aus Bukarest.
„A japanese version of german classic“, inszeniert von japanischen Regisseuren im rumänischen Bühnenbild und gespielt von japanischen Schauspielern in ihrer Heimatsprache, ist ein Beispiel für den mittlerweile besinnungslos heißlaufenden Festivalbetrieb. Denn alles, was ein deutscher Zuschauer bei diesem Gastspiel tun kann, ist, seine abendländische Seherfahrung und vorgefertigte Meinung zum Faust auf eine Inszenierung anzuwenden, deren Impulse ihm völlig unbekannt bleiben. Die Idee der von Weimar vergeben Auftragsarbeit, einen fremden Blick auf den deutschen Klassiker zu wagen, ist eine überzeugende – sinnvoller „interkultureller Austausch“ ist das Ergebnis nicht.
Die Bühne ist leer, manchmal werden Bambusrollos für Verwandlungen oder Schattenspiel heruntergelassen. Nur acht Darsteller spielen alle Rollen; sie sitzen wie der Schlagwerkzeuger und die Flötistin sichtbar am Bühnenrand, reichen Requisiten ins Spiel und begeben sich in ihre Rollen und in das Geschehen vor den Augen des Publikums. Dass dieses Geschehen, wie im Programmheft behauptet, in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, ist nicht auszumachen. Wehende Tücher, viele Masken, überdeutliche Figurenarrangements, dazu rumänischer Trachtenlook über bodenlangen japanischen Wickelröcken und ein veräußerlichtes Spiel ergeben eine ganz eigene Art von Volkstheater.
Der japanisch-rumänische Faust ist nie vergrübelt, sondern immer grell. Wenn ihm eine Frau begegnet, geht er mit rollenden Augen und spastischen Zuckungen der Begeisterung zu Boden. Das kräftige Dorfmädchen Gretchen streckt den allzu Aufgedrehten mit zärtlich gemeinten Schlägen zu Boden, und Marthe kneift Mephisto recht deftig in den Po. Hier geht es nicht um Wissensdrang und Altersangst, nicht um philosophische und existentielle Fragen, hier wird getobt. Immer überdreht – und mächtig derb. Zu bewusstem, gutem Trash fehlt jedoch etwas. Nämlich das bewusste, gute Trash-Spiel.
Diese Faust-Version ist nicht fremd, aber trotzdem unverständlich. Das Weimarer Publikum schien dies geahnt zu haben und blieb der Aufführung im Kubus weitgehend fern. Nach der Pause waren die japanischen Zuschauer und die deutschen Kritiker dann ganz unter sich.
Anderntags beim Goethe-Projekt der Berliner Schaubühne dann mächtiger Andrang, vor allem von älteren Herrschaften. Nach dem rumänisch-japanischen Faust wirkte diese deutsche Uraufführung wie aus einer anderen Welt. „Am Ort. Frauen-Gestalten von Goethe“ ist eine kulturvoll gepflegte Inszenierung von Edith Clever mit Material aus der Denk- und Zettelfabrik des goethebewanderten Dramaturgen Dieter Sturm.
Fünf Frauen und Phorkyas, das Zwitterwesen, durchsprechen ihre fraulichen Identitäten. Dass sie „am Ort“, also in Weimar, ihrem Ursprung näher und damit neu zu untersuchen seien, ist eine für die glatte Inszenierung folgenlose Verkaufswerbung. Gespielt wird in der Hetzerhalle, einem leer stehenden Industrieraum, wo es die wie vermummte Lemuren auf die Bühne schleichenden Frauen es schwer haben, gegen eine Batterie von tosenden Fernsehern anzuspielen. Auch wenn sie die Monitore umgedreht haben, morst ihnen die Medienwelt immer wieder dazwischen. Leonore aus „Torquato Tasso“, Klärchen aus „Egmont“, Iphigenie und Gretchen werden dabei arrangiert von einer Art weiblichem stummen Mephisto.
Diese Frauengestalten von Goethe können nicht handeln. Sie besitzen allein ihre Sprache, mit der sie von erfahrenen Gewaltverhältnissen berichten, in verfugten, collagierten Monologteilen aus des Meisters Dramen. Was uns das sagen soll, wird im Bild überdeutlich: Ein älteres Gretchen mit einer Dornenkrone in der Hand wird in weiße Tücher gehüllt und zum aufbrausenden Agnus Dei im Bilderrahmen ausgestellt.
Leidgeprüfte Frauen aus Antike und Christentum zelebrieren wehmütig getragene Leidensarien. Die Inszenierung von Edith Clever mag ein dramaturgisch kluges Konstrukt haben; da aber dieses enervierende Ariengeklingel ohne wirklich szenische Aktion und ohne dramatische Widerparts vorgetragen wird, versickert es alsbald in kunstvoller Langeweile. Daran konnte auch die virtuose Jutta Lampe in der Rolle Helenas nichts mehr retten.
Die Aufführung, die ab dem 12. September auch an der Berliner Schaubühne zu sehen sein wird, erklärt uns, dass Goethes Frauen zwar nicht die Gewaltverhältnisse wegreden, aber doch in der Dichtung überleben können. Schließlich sind sie noch heute zu hören. Nur: Wenn sie so wie in Edith Clevers Inszenierung daherkommen und, unerträglicher noch, lamentierend dahersingen, bleiben sie von und im Gestern.
Hartmut Krug
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