„Flieg nicht so hoch, kleiner Freund“

Peter Müller, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Saarland, hat ein Problem. Die Umfragen sehen seine Partei klar vor der SPD, er selbst aber kommt gegen die Popularität von Landesvater Klimmt nicht an  ■   Von Heike Haarhoff

Er lässt sie alle warten. Die 500 Menschen in der Turnhalle von Nalbach-Körprich, den Diskussionsleiter, die drei Politiker auf der Bühne. Die FDP-Frau guckt in Richtung SPD-Mann, aber der ignoriert ihren Blick. Der Grüne blättert stumm in seinen Akten. Sie alle könnten sagen, wir fangen jetzt trotzdem an mit unserer Debatte über den Steinkohleabbau unter Nalbach-Körprich, schließlich warten wir schon seit 20 Minuten auf ihn, schließlich ist Wahlkampf im Saarland. Schließlich gedulden sie sich lieber.

Und dann endlich, läuft er ein: Peter Müller, 43 Jahre, dunkle Haare, dunkles Hemd, dunkle Stoffhose, durchschnittlich gekleidet, mittelgroß gewachsen, und dennoch kaum zu übersehen. Wegen dieser extrem guten Laune, wegen diesem überlegenen Grinsen. Kein Wort der Entschuldigung für seine Verspätung. Der Mann, den die CDU im Saarland ins Rennen geschickt hat, die 15-jährige Alleinherrschaft der SPD mit der Landtagswahl am 5. September zu beenden, gibt sich schon Wochen vor dem Stichtag als Sieger. Die Umfrageergebnisse geben ihm dazu Anlass. Erstmals seit 1984 liegt die CDU zwei Prozentpunkte vor der SPD. Die FDP hat im Land sowieso nichts zu sagen. Fliegen die Grünen aus dem Parlament, was möglich ist, wären SPD und CDU im Saarbrücker Landtag unter sich und Müller am Ziel.

Als neuer Regierungschef könnte er das abschaffen, was ihn an den Sozis am meisten nervt: deren millionenschwere Subventionen für den Steinkohlebergbau, die die letzten Zechen künstlich am Leben halten. Müller will die Mittel lieber umlenken: Mittelständisches Gewerbe, kleinere Handels- und Dienstleistungsunternehmen, sie alle sollen profitieren. Wer Handwerkermeister werden will, soll für seine Ausbildung künftig nicht mehr in die eigene Tasche greifen müssen. Vor allem aber möchte Müller verhindern, dass noch nach der Jahrtausendwende ganze Dörfer neu für den Bergbau erschlossen werden. Wie es die SPD in Nalbach-Körprich im Süden des Saarlands vorhat. Was die Einwohner des Orts zu hunderten in die örtliche Turnhalle treibt. Nicht, weil sie prinzipiell gegen den Bergbau wären. In jeder saarländischen Familie gibt es Männer, die unter Tage sind oder waren. Aber vor ihrer eigenen Haustür, da passt den Nalbach-Körprichern die Vorstellung von Rissen in den Häuserwänden, von überfluteten Kellern und sonstigen drohenden Bergschäden so gar nicht; Jobs hin oder her. Peter Müller bekommt an diesem Abend viel Applaus für sein klares Nein zur Montanindustrie; er wirkt ein bisschen überrascht.

Andernorts haben sie ihm gedroht, offen und anonym, bis das Landeskriminalamt dem CDU-Spitzenkandidaten Personenschutz anbot. Müller lehnte ab: „Ich streite gern.“ Nicht erst neuerdings und auch nicht erst seit seiner Zeit als Amtsrichter: „Ich bin in einer Familie mit SPDlern und IG-Metallern aufgewachsen.“ Er seufzt. „Und im Jugendclub ging es um die Frage, bist du Maoist oder Traditionskommunist, nur mit geistiger Freiheit hatte das alles nichts zu tun.“ Deswegen stritt er, deswegen schloss er sich in den 70er-Jahren der Jungen Union an.

Doch auch in der CDU, die ihn 1990 erstmals in den Landtag schickte und fünf Jahre später zum Landesvorsitzenden wählte, eckt er an. „Peter wehrt sich gegen alles, was nicht mehr zeitgemäss ist“, sagt einer seiner Anhänger aus der Jungen Union. Gegen Helmut Kohl zum Beispiel. Dem legte er 1997 nahe, seinen Platz für jüngere, erfolgversprechendere Kandidaten frei zu machen. Gegen die Verteufelung politischer Tabubrüche. Schwarz-Grün sei ein bedenkenswertes Modell, sagte Müller vor dreieinhalb Jahren in einem Zeitungsinterview. Gegen die Unterschriftenkampagne der CDU zur Staatsbürgerschaft, „die uns in eine gefährliche Ecke rückte“.

Und nun gegen alle, die ablehnen, was er für modern hält: Biotechnologie statt Bergbau, Steueranreize statt staatliche Rundumversorgung, CDU statt SPD. Energiekosten will er senken, Genehmigungsverfahren beschleunigen, Betriebsansiedlungen erleichtern. Und notfalls zu unpopulären Maßnahmen greifen: Auf einem Sommerfest der CDU preisen Parteimitglieder unterm Bierzelt „unsere vielen schönen Feiertage im Saarland“. Müller schaltet sich ein: „Richtig, Christi Himmelfahrt, Mariä Himmelfahrt ...“ Er guckt in die Runde. „Und ich sage, wenn die beiden eine Fahrgemeinschaft machten, wäre das viel ökonomischer und ökologischer.“ Er schüttelt sich vor Lachen. Unterm Bierzelt wird es stumm.

Es ist der häufig eine Spur zu schnodderige Ton, der abschreckt. Fast jeder zweite Saarländer wünscht sich nach 15 Jahren SPD-Herrschaft eine christdemokratische Regierung, aber nur ein Drittel will Müller als Ministerpräsidenten. In der persönlichen Beliebtheitsskala läuft der amtierende Regierungschef Reinhard Klimmt Müller sowieso jeden Rang ab: Klimmt ist das soziale Gewissen des Landes, Müller der innovative Unruhestifter. Bei Klimmt möchte man alle seine Sorgen abladen, Müller dagegen schafft einem welche: weil er quer denkt, Werte und Traditionen hinterfragt.

Dabei strengt sich Müller mächtig an, im Wahlkampf als bodenständig und volksnah zu erscheinen. Morgens spricht er ein Grußwort beim örtlichen Golfturnier. Mittags eilt er in die Eckkneipe zu den Kegelfreunden. Kippt ein Bierchen, schiebt die Kugel, alle Neune, darauf noch ein Bierchen, und noch ein letztes für unterwegs: „Als Politiker müssen Sie saufen können.“ Sodann setzt er sich hinters Steuer und gurkt vergnügt zum CDU-Fest mit Kinderhüpfburg und Auftakt der „heißen Wahlkampfphase“. „Es ist Wechselstimmung in diesem Land“, ruft er den Versammelten zu.

Für das anschließende Unterhaltungsprogramm hat die CDU die Sängerin Nicole gewinnen können. „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund“, schallt es glockenklar aus den Lautsprechern. Das Peter-Müller-Team, zumeist sehr junge Christdemokraten, die T-Shirts mit dem Aufdruck PMT tragen und Verantwortung dafür, dass Müllers Auftritte erfolgreich sind, macht sich missmutig an die Aufräumarbeiten.

„Wir sind die Zukunftspartei“, sagt Müller. Nicht altgediente Parteiveteranen sollen unter ihm regieren, sondern ein gesellschaftspolitisches Potpourri aus „Leuten, die ihr Fach verstehen“. Der Chef des saarländischen Naturschutzbunds, Stefan Mörsdorfer, 38 und parteilos, ist begeistert, dass er Umweltminister werden soll: „Müller ist ökologischer als die Grünen.“ Regina Görner, 49, Stellvertreterin im Bundesvorstand des DGB und CDU-Mitglied, will Ministerin für Arbeit und Soziales werden. Dass Müller den „Präventionsgedanken in der Drogenpolitik stärken“ will, findet sie „sehr gut“.

Nur einer im Team des CDU-Manns passt vielen Saarländern so gar nicht: Michel Friedman (CDU), Rechtsanwalt aus Frankfurt und Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland. Friedman ist für eine „Stabsstelle Kultur und Europa“ vorgesehen. Seit das bekannt ist, wird Müller auf Wahlkampfterminen häufig angegiftet mit Sprüchen wie: 'Was willst du mit dem Juden?‘ „Ich hätte nicht gedacht, dass der Antisemitismus so offen artikuliert wird“, sagt Müller bestürzt, „ich verzichte gern auf solche Stimmen.“

Und sollte es auch aus anderen Gründen mit dem Machtwechsel in Saarbrücken nicht klappen, „dann gehe ich sicher nicht als Oppositionsführer im saarländischen Landtag in die Rente“, prophezeit Müller gut gelaunt. Viele weitere Jahre als Stänkerer gegen die SPD, die nichts als ein „biederer Verwalter der Vergangenheit“ sei und ihn auch rhetorisch eher langweile, will er sich jedenfalls nicht antun. Sichtlich verschnupft konterte SPD-Umweltminister Heiko Maas: „Das politische Niveau von Peter Müller entspricht der Originalität seines Namens.“ Müllers Zweitname ist Aloysius.