: Herbei, Armenier aller Länder!
Erstmals finden in Eriwan die „Pan-Armenischen Spiele“ statt – das Kaukasusvolk will so die Diaspora vereinen und neues Selbstbewusstsein demonstrieren ■ Von Günter Rohrbacher-List
Was weiß man schon von Armenien? „Radio Eriwan“, klar, das einst die UdSSR auf die Schippe nahm. Das Erdbeben vor zehn Jahren, die Selbstständigkeit nach Auflösung der GUS. Und Sportler kommen in den Sinn: Garri Kasparow, der russische Schachweltmeister, und Youri Djorkaeff, der französische Fußballweltmeister mit den armenischen Vorfahren. Sie stehen stellvertretend für die vielen Diaspora-Armenier, die oft wegen Unterdrückung aus ihrer Heimat geflohen waren.
Seit dem 28. August und noch bis zum 5. September finden nun in der Hauptstadt Eriwan erstmals die Pan-Armenischen Spiele statt, die Sportler aus aller Welt zusammenbringen. 1997 wurde das Großereignis von der „Welt-Armenischen Sportbewegung“ und dem „Weltkomitee der Pan-Armenischen Spiele“ beschlossen; es soll nun alle vier Jahre stattfinden.
Sport hat in Armenien eine lange Tradition. 385 vor Christus wurde ein gewisser Varazdat aus Armenien Olympiasieger im Boxen. Was seine Landsleute wohl so beeindruckte, dass sie ihn später gar zum König krönten. Der Ringer Trdat setzte gerade mal 104 Jahre danach noch einen drauf: Auch er erschulterte sich Gold im antiken Griechenland.
Nachdem die Armenier in der Neuzeit unter Trdat III. das Christentum zur Staatsreligion erkoren hatten, fanden sie sich zwischen osmanisch-islamischen Völkern eingekeilt wieder. Über eine Million ArmenierInnen wurden 1915 Opfer des Genozids durch die Türken. Viele der Überlebenden suchten sich eine neues Zuhause, irgendwo in der Welt. Schließlich endete das kleine Armenien wie viele seiner Nachbarn als Sowjetrepublik.
Doch das ist Vergangenheit, Armenien hat wieder eine eigene Identität – die Spiele sollen das beweisen. Das IOC immerhin ließ alle Athleten ausdrücklich grüßen. Und Erzbischof Nerses Posapalyan segnete die Fete im Namen der Armenisch-Apostolischen Kirche.
Insgesamt sind 2.000 TeilnehmerInnen bei den Wettkämpfen am Start, die 53 Städte aus allen Kontinenten vertreten. Beim Fußballturnier zum Beispiel hat es eine Mannschaft aus Köln mit Teams aus Sydney, San Francisco und den Einheimischen aus Gumri zu tun.
Schirmherr der Ballspiele ist der Djorkaeff, der jetzt beim 1. FC Kaiserslautern sein Geld verdient. Seine Großeltern mütterlicherseits flohen 1915 vor den Türken nach Frankreich, kamen dort ohne Papiere und Sprachkenntnisse an und schlugen sich mühsam durch. In Armenien ist Djorkaeff noch nie gewesen, doch hat er gute Gründe, das Land seiner Vorfahren zu sehen. Vier Tage nach dem EM-Qualifikationsspiel in der Ukraine läuft das Fußballidol armenischer Kinder mit der „Equipe Tricolore“ gegen Armeniens Team auf. Der sportliche Teil der Pan-Armenischen Spiele ist da allerdings bereits vorüber und das symbolische Feuer im heiligen Tempel Garni erloschen. Dafür wird ein anderer Franzose armenischen Ursprungs noch bis zum 12. September seinen symbolischen Schirm über das kulturelle Beiprogramm halten: Charles Aznavour(ian), der große Chansonnier.
Das neue Selbstbewusstsein zeigt sich auch hierin: Die Gastgeber haben ein umfassendes Exkursionsprogramm zusammengestellt für die BesucherInnen, die zum ersten Mal in der Heimat ihrer Ahnen weilen. Alle, nicht nur die SportlerInnen, sollen einbezogen werden in das Fest, beim Zwei-Kilometer-Lauf für jedermann etwa oder bei der Kür der „Miss Pan Armenien“. Außer Fußball werden bei den Spielen auch Wettkämpfe in Leichtathletik, Volleyball, Basketball, Tischtennis, Schach und Tennis ausgetragen. Den Schachpokal wird Kasparow persönlich überreichen, während ein anderer Profi durch Abwesenheit glänzt. Einst war er ausgezogen nach Orlando ins sonnige Florida, um dort das Racket zu schwingen und nichts von den Problemen zu Hause zu hören. Der 26-jährige Sargis Sargsian, einziger Armenier im Tenniszirkus, kehrte dem Armenhaus des Transkaukasus den Rücken: „In Armenien hat man anderes zu tun, als Tennis zu spielen“, sagte er, „es gibt so viel Not.“
Wie sich die Zeiten ändern – in diesen Tagen ist anlässlich der Spiele die Autostrecke von Zvartnots nach Eriwan so festlich geschmückt, als tage in der Hauptstadt der G-8-Gipfel.
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