: Kein Herz für Allergiker
Der Bund schützt seine Bürger zu wenig vor Krankheiten durch Schadstoffe, kritisiert der Umweltrat. Vor allem Schutz von Allergikern werde vernachlässigt ■ Von Matthias Urbach
Berlin (taz) – Bundesregierung und Parlament tun zu wenig für den Schutz vor schadstoffbedingten Krankheiten. Das kritisiert der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (kurz: Umweltrat) in seinem Sondergutachten „Umwelt und Gesundheit“, das er gestern Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) übergab.
Insbesondere der Schutz von Allergikern, deren Krankheit oft in Asthma mündet, sei „nur unzureichend“. Auch die Gefährdung durch Lärm und Sonneneinstrahlung werde noch immer unterschätzt. Dagegen werde allerdings die Relevanz von hormonähnlich wirkenden Chemikalien und die Multiple-Chemikalien-Überempfindlichkeit „häufig überschätzt“.
Jeder dritte Deutsche leidet inzwischen an einer Allergie: Insgesamt „24 bis 32 Millionen sind allergisch vorbelastet, 12 Millionen Menschen haben allergischen Schnupfen und 4 Millionen leiden an Bronchialasthma“, schreiben die Gutachter. Europaweit entstünden jährlich Folgekosten durch die Allergien in Höhe von geschätzt 57 Milliarden Mark. Zwar seien die auslösenden Allergene oft natürlichen Ursprungs, ihre Wirkung werde aber durch Umweltschadstoffe verstärkt, etwa durch Schwefeldioxid, Stickoxide, Ozon und Dieselruß aus dem Straßenverkehr. „Kurzfristig kann hier nur die vorzeitige Einführung niedriger Grenzwerte für den Schwerlastverkehr eine Besserung herbeiführen“, schreiben die Wissenschaftler.
Auch im „Lebensmittelrecht und im Arbeitsschutzrecht wird den Schutzbedürfnissen von Allergikern nicht ausreichend Rechnung getragen“, klagen die Sachverständigen. Zum Schutz von Lebensmittelallergikern sei eine bessere Kennzeichnungspflicht nötig, der Verzehr von Allergenen wie Erdnüssen oder Sulfiten habe auch schon zu Todesfällen geführt.
Bei der Entwicklung der Energiesparverordnung mahnen die Experten an, nicht nur eine bessere Wärmeisolierung von Häusern anzustreben, sondern auch eine ausreichende Durchlüftung. „Neben dem ,Wärmeschutzpass‘ für Wohnungen wäre an einen ,Allergikerschutzpass‘ zu denken“, heißt es in dem Gutachten. Außerdem gebe es „in Deutschland bisher keine anspruchsvolle Politik zum Schutz von Nichtrauchern“.
Auch beim Lärmschutz gebe es große Defizite, technisch erzielte Minderungserfolge würden durch den wachsenden Verkehr zunichte gemacht. 70 Prozent der Bürger fühlten sich durch Straßenverkehr belästigt, 50 Prozent durch Flugzeuge. Die Folge: Schlafstörungen und ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Es gebe „plausible Hinweise, nach denen Menschen, die an lauten Straßen wohnen, ein um etwa 20 Prozent erhöhtes Risiko für Herzinfarkte haben“.
Der Umweltrat fordert daher ein „anspruchsvolles Langzeitprogramm“ mit dem Ziel, den Lärm gegenüber den bisher angestrebten Grenzwerten noch einmal zu halbieren. Dabei sollten statt passiven Maßnahmen wie Lärmschutzwände wieder aktiver Lärmschutz, wie „Geschwindigkeitsbeschränkungen, Lkw-Verbote oder Verkehrsberuhigung“, in den Vordergrund treten, so die Experten.
Der Umweltrat wurde 1971 von der sozialliberalen Bundesregierung als Beratungsgremium gegründet und setzt sich aus sieben Professoren zusammen.
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