■ Zwischen west- und zentralafrikanischen Staaten blüht der organisierte Handel mit Kindern. Viele arme Familien geben ihre Söhne und Töchter für 45 bis 70 Mark weg in dem Glauben, dass sie im Austausch für Arbeit eine Ausbildung bekommen würden. Doch stattdessen werden sie gewinnbringend verkauft. Über eine moderne Form der Sklaverei berichtet Dominic Johnson: Handelsware Kind
Die Nachbarn wussten Bescheid. „Sklavenhaus“ nannten sie das fünfstöckige Gebäude im Stadtteil Yaba in der nigerianischen Küstenstadt Lagos. Als die Polizei es betrat, fand sie es voller unterernährter Kinder zwischen 7 und 17 Jahren, die meisten aus Togo und der örtlichen Sprachen nicht mächtig.
Etwa 30 Kinder, so erfuhren die Beamten, kamen hier alle zwei Monate auf Lastwagen aus dem 300 Kilometer entfernten kleinen westafrikanischen Land an. Wer billige Arbeitskräfte suchte, konnte sie sich hier aussuchen. Laufburschen für den Markt? Fahrgeldeintreiber für den Minibus? Alles hier zu haben – zu konkurrenzlosen Preisen.
Als dieser Kindermarkt vor drei Jahren aufflog, erregte das noch Aufsehen. Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in dem nicht ein neuer organisierter Kinderhändlerring in dem Gürtel westafrikanischer Staaten von Elfenbeinküste über Ghana, Togo, Benin und Nigeria nach Kamerun und Gabun ausgehoben wird.
Entlang den alten Routen der saisonalen Arbeitsmigration und des Sklavenhandels, die in diesem Teil Afrikas seit Jahrhunderten die Wirtschaftskreisläufe bestimmten, werden Minderjährige zu tausenden verkauft, verschleppt und in fremde Ländern zur Zwangsarbeit exportiert.
Allein Benins Polizei griff im Jahr 1998 nach offiziellen Angaben 1.059 Kinder auf, die als Ware aus dem Land gebracht werden sollten. 1996 waren es erst 43 gewesen. In der ersten Hälfte 1999 waren es bereits knapp 600, davon 174 allein im Monat Juni. Die meisten sind Mädchen zwischen 8 und 16 Jahren. „Dieser illegale Handel gilt als Quelle des Reichtums“, sagte Dègan Kocou, Leiter der neuen Kinderschutzbrigade der beninischen Polizei. „Und unser Land ist zum Magnet für die Händler geworden.“
Die Kinder in Benin, zu frühen Kolonialzeiten „Sklavenküste“ genannt, werden heute nicht geraubt, sondern verkauft. Für umgerechnet 45 bis 70 Mark, so haben Recherchen der beninischen Behörden ergeben, vertrauen Eltern auf dem Land ihre Kinder den Händlern an. Die präsentieren sich als Philanthropen mit guten Beziehungen und versprechen, den Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen.
„Netzwerke von Händlern arbeiten sich durch die Städte und die ländlichen Gebiete, um junge Leute – besonders Kinder aus armen Familien – zur Suche nach dem Glück im Ausland zu bewegen“, berichtete Benins Regierung dieses Jahr dem UN-Kinderrechtskomitee.
Die Händler sind meistens im Auftrag von Kakao- und Zuckerplantagenbesitzern unterwegs, denen sie die Kinder für umgerechnet 600 bis 900 Mark weiterverkaufen. Auf den Plantagen müssen sie dann diese Summen „abarbeiten“. Die Händler sind manchmal Beniner, oft auch Togolesen, Nigerianer und Gabuner.
Es gibt mehrere etablierte Handelsrouten. Eine führt aus den armen Regionen der Sahel-Staaten an die Küste, etwa von Mali in die Elfenbeinküste. Als „eine Form der Sklaverei“ bezeichnete dies vor kurzem Cyril Dalais, Unicef-Vertreter in der Elfenbeinküste.
Das zentralafrikanische Gabun ist zu einem weiteren beliebten Zielland geworden. In dem ölreichen Gabun, das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Schwarzafrikas und einer extrem ungleichen Einkommensverteilung, zieht seit Jahrzehnten Immigranten aus ganz Westafrika an. Je mehr die gabunische Regierung die illegale Einwanderung zu unterbinden versucht, desto stärker entwickelt sich der organisierte Menschenschmuggel.
Die Reise von Westafrika nach Gabun ist beschwerlich. Der Osten Nigerias ist einer der Sammelpunkte. Die ostnigerianischen Bundesstaaten Akwa Ibom, Abia, Rivers und Cross River gelten als bevorzugte Zwischenlager – hier ist die staatliche Autorität kaum existent, die Wasserwege der sumpfigen Region sind ideale, weil unkontrollierbare Handelswege, Kamerun und Äquatorial-Guinea sind nah.
In überfüllten Bussen oder ähnlichen Fahrzeugen, so haben nigerianische Medien recherchiert, werden Kinder aus anderen Teilen Nigerias oder Westafrikas auf private Grundstücke an der Küste gebracht – bewacht von privaten Milizen. In überladenen Booten geht es dann über den Golf von Guinea nach Süden.
Im Bundesstaat Abia warnten im Oktober 1998 die damals noch herrschenden Militärbehörden, es sei eine beunruhigende Zunahme der Kinderversklavung zu verzeichnen. Man müsse die Bürger aufklären. Jugendliche sollten vorsichtig sein, wenn sich jemand als „international businessman“ vorstelle und Arbeit anbiete.
Aber die Klage der Militärbehörden verdeckte, dass Nigerias Militär offenbar am Kinderhandel mitverdiente. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen ist Nigeria ein Nettoimporteur von Kindern. Vor einem Jahr erklärten nigerianische Kinderschutzgruppen, die Menge der nach Nigeria „eingeführten“ Kinder übersteige die „Ausfuhrmenge“ um das Dreifache. Die Militärs hätten die Kontrolle eines von Kinderhändlern besonders gern benutzten Grenzpostens zwischen Benin und Nigeria so gut wie eingestellt, woraufhin die Zahl von Kinderrekrutierungslagern im Grenzgebiet sprunghaft zugenommen habe.
„Die Auswirkungen auf die Kinder ist vernichtend“, analysiert die in London ansässige Organisation „Anti-Slavery International“ (ASI) in einer Stellungnahme an die UNO. „Die Kinder stehen in Gefahr, von ihren Wurzeln abgeschnitten zu werden, den Kontakt zu ihrer Familie zuweilen für immer zu verlieren sowie schlechten Arbeitsbedingungen und auch physischer, psychischer und sexueller Misshandlungen ausgesetzt zu werden.“
Um der Zunahme des Kinderhandels zu begegnen, setzen internationale Organisationen wie Anti-Slavery International oder das UN-Kinderhilfswerk Unicef auf die Regierungen der Region. Sie sollen die UN-Kinderkonvention, die Kinderarbeit und Kinderhandel verbietet, anwenden und in nationales Recht umwandeln. Aber Unicef ist sich bewusst, dass die Reichweite solcher Initiativen begrenzt ist. „Etwas zu tun ist nicht nur Sache des Staates“, erklärt Unicef-Vertreter Dalais. „Es istauch Sache der Eltern.“
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