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Das Leben ist ein Schnitzel

In seinem Episodenfilm „St. Pauli Nacht“ geht es Erfolgsregisseur Sönke Wortmann nicht um Männer und Mythen, sondern um den Alltag von Nachtarbeitern  ■   Von Gerrit Bartels

Die sechs Männer mit den finsteren Blicken und schlecht sitzenden Anzügen, die da am Hamburger Hafen einem der ihren per Seebestattung das letzte Geleit geben, lassen zuerst nur das schlimmste befürchten: Vorsicht, Gangster! Vorsicht, ein deutscher Film! Vorsicht, eine deutsche Genreparodie! Aber glücklicherweise gelingt es Sönke Wortmann in den Anfangsszenen seines neuen Films, „St. Pauli Nacht“, einfach nur, den bangen Zuschauer ein wenig an der Nase rumzuführen. Da ist dann zwar noch Jonny (Benno Fühmann), ein kleiner Ganove, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und sich erst mal mit seiner Freundin Stefanie (Doreen Jacobi) vergnügt. Der sagt Sachen wie „Weißt du, das Leben ist ein Schnitzel: Erst mal wirst du weich geklopft und dann endest du in der Pfanne“, und tut dann genau das, was man von ihm erwartet: Auf den Kiez gehen, alte Kontakte wieder aufnehmen, die Lage checken.

Doch als Jonny kurz darauf auf recht skurrile Weise ums Leben kommt, steht man plötzlich etwas unvermittelt ohne eine der vermeintlichen Hauptfiguren da. Wie zuletzt auch einige seiner deutschen Kollegen ist Sönke Wortmann auf die Idee gekommen, einen Episodenfilm zu drehen, und so erzählt er im Folgenden die Geschichte und Geschichten einer Nacht auf St. Pauli. Da kommt man dann zwar auch schnell auf den Gedanken, dass sich Deutschlands kommerziell erfolgreichster Filmregisseur hier an einer zünftigen Milieustudie von unten versucht, von wegen Reeperbahn, Kabaretts, Straßenstrich, Drogenszene und dem ganzen anderen Schmu.

Doch peinliche Sozialromantik und Kiezverklärungen sind nicht Wortmanns Sache. Sein St. Pauli hat wenig mit dem von Hans Albers, Dackelblut, Hubert Fichte oder auch Dieter Wedel („Der König von St. Pauli“) zu tun, ihm geht es nicht um Männer, Macht und Mythen.

Wortmann versucht mit „St.Pauli Nacht“ vielmehr darzustellen, wie sich der Alltag von Prostituierten, Zuhältern, Transen und anderen Nachtarbeitern mit dem von bürgerlichen Ehepaaren, Arbeiterkids, Angestellten und Geschäftsleuten mischt.

Und so erzählt er zum Beispiel die Geschichte des in der DDR aufgewachsenen Postboten Manfred (Armin Rhode), der von seiner Frau betrogen wird. Wie es sich gehört, besäuft er sich daraufhin hemmungslos, landet in einem Puff, wird dort wegen seines großen Penis aber abgewiesen und läuft schließlich Amok.

Oder das bürgerliche Ehepaar Ulrike (Maruschka Detmers) und Peter (Axel Milberg): Den beiden steht die über die Jahre gewachsene gegenseitige Abneigung ganz gut im Gesicht geschrieben, und als dann die Taxifahrt auf dem Weg ins traute Heim erst mal vor einem brennenden Haus unterbrochen wird, gehen sie beide getrennter Wege – Axel natürlich in den Puff, Ulrike in ein Hotel, um dann mit Hilfe des Taxifahrers Robby (Ill Young-Kim) die endgültige Biege zu machen.

Die meisten dieser Geschichten könnten sich zwar auch in Braunschweig oder Chemnitz abspielen, St. Pauli und der Kiez sind da oft nicht mehr als Kulisse. Doch so, wie Wortmann sie recht locker, ungezwungen, zumeist ohne Tiefe und manchmal auch witzig erzählt, erfüllen sie vor allem eines der obersten Gebote auf dem Kiez: gute Unterhaltung. Und so verträgt dieser Film sogar einen dümmlichen Cameo-Auftritt von Heiner Lauterbach. „St. Pauli Nacht“: Regie Sönke Wortmann, Buch: Frank Göhre. Mit Armin Rhode, Axel Milberg, Maruschka Detmers, Peter Sattmann u. a., Deutschland 1999, 95 Min.

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