piwik no script img

Urrrgs: 65 Meter hoch überm Rasenplatz

■ Nur für wirklich und völlig Schwindelfreie: Oben auf der Flutlichtanlage des Weserstadions werden die Lampen riesengroß und der Rasen riesenklein / Dritter Teil der taz-Serie, die in loser Folge Orte beschreibt, die BremerInnen sonst nicht kennen

Das einzige was Siegfried Mannig wirklich wissen will, ist ob wir schwindelfrei sind. Sonst rückt der Hausmeister die Sicherungsgurte nicht raus. Und auch nicht die Schlüssel. Die Schlüssel, um ganz hoch über das Weser-Stadion in die Flutlichtanlage zu steigen – 65 Meter hoch.

Wir glauben, dass wir schwindelfrei sind. War bislang nie ein Problem. Wir kriegen Schlüssel und Sicherungsgurte. Der Aufstieg beginnt hinter der letzten Sitzreihe. Ganz versteckt ist da eine kleine Tür. Von hier geht es zwei kleine Stiegen hoch. Die erste Kletterprobe. Ganz leicht. Dann ist man schon auf dem Außendach des Stadions. Und die Fluchtlichter ragen hoch, hoch über unseren Köpfen.

Die Tür zum Turm kennt keinen rechten Winkel. Schräg ist sie in den Turm eingelassen, mit ein paar Luftschlitzen. Aber der Schlüssel passt. Dahinter ein klitzekleiner Raum: Nicht viel mehr als ein Quadratmeter, dafür 50 Meter hoch.

Die Sicherungsgurte passen überhaupt nicht. Die Gürtelschnallen lassen viel zu viel Luft. Und nur einer der Gurte läßt sich in der Schiene verankern. Hakt und klemmt. Und Hausmeister Mannig ist weit weg. Eigentlich klang das System von Anfang an nicht ganz verständlich. Und eigentlich könnte es vielleicht auch ohne Gurt gehen. Der Versuch scheitert bereits in zwei Meter Höhe. Vielleicht wären die Gurte doch sicherer. Zumindest fürs Gefühl.

Das Licht im Turmschacht funktioniert nicht. Ausgerechnet hier! Ausgerechnet die Innenbeleuchtung der Flutlichtanlage – kaputt? Hausmeister Siegfried Mannig schüttelt später den Kopf. Der Schalter unten setze gleich das ganze Flutlicht in Betrieb.

Der Aufstieg bleibt also dunkel. Und eng. Eine finstere Röhre. Vielleicht einen Meter Durchmesser. Nur ganz, ganz hoch oben lukt ein bisschen Licht rein. Da muss der Turm zu Ende sein, das Ziel irgendwo da oben.

Eine Leiter führt dahin. Steil, ganz steil, geht es nach oben. Fast senkrecht – mit leichter Neigung zum Fußballfeld. Über dünne, viereckige Sprossen klettert man. Dahinter verlaufen Kabel. Ein ganzer Wust von verblichenen schwarzen Kabeln, die der Leiter folgend Richtung Lichtanlage streben.

Zehn Minuten dauert der Aufstieg. Zwischendurch hakt der Sicherungsgurt. Hält auf. Immer wieder muss man nachgreifen. Immer wieder hallen die Metallhaken durch die Röhre.

Oben ist endlich Luft. Und ein bisschen Raum. Enge und Dunkelheit liegen jetzt unten. Geschafft! Rechts eine Tür. Dahinter Sonne. Ein Balkon in luftiger Höhe.

Dann geht es raus – zu den Flutlichtern. 58 „Gasbomben“ hängen hier oben. Jede macht 3.500 Watt. Pro Spiel, berichtet Mannig, kosten die vier Masten voll Licht bis zu 4.000 Mark. Die Lampen, die von unten ganz klein aussehen, haben einen Durchmesser von fast einem Meter. Unsere Köpfe fallen dazwischen gar nicht auf.

In Reihen sind die Flutlichter aufgehängt. Auf immer weitere, höhere Balkons kann man klettern. Könnte man. Aber hinter den Lampen geht es tief runter. Tiiiiieeeeeefffff. Höher muss also gar nicht mehr sein. Schon gar nicht bei dem Neigungswinkel. Und schon gar nicht, wenn der Boden nicht mehr als ein Gitterrost ist. Der oberste Balkon schwebt bestimmt senkrecht überm Rasenplatz. Aber muss man da runter gucken? Zwei mal im Jahr wird die Anlage gewartet. Zwei mal im Jahr muss da schon jemand nach ganz oben.

Schon vom untersten Balkon ist die Aussicht grandios. Das Spielfeld: klein und knackig grün. Dahinter Kleingärten und winzige Häuschen. Alles geschrumpft.

Unserm Fotografen geht es nicht ganz so gut. Foto und Klick und weg. Zum sicheren Boden unter den Füßen. Nicht schwindelfrei. Ganz sicher. pipe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen