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Die Welt in schwarz und weiß

■ Wolfgang Kleines Worpsweder Lichtbild-Galerie zeigt jetzt 50 Arbeiten des US-Fotografen Bruce Davidson

Man kommt nicht umhin. Wer in Worpswede Wolfgang Kleines Lichtbild-Galerie am Neu-Bergedorfer Damm besucht, muss zunächst ein paar Worte über Worpswede im Allgemeinen verlieren. Über dieses Un-Dorf mit erschreckend hoher Galeriendichte, wo man hinter jeder Kurve damit rechnet, dass dicke rosige Kinder durch den Rinnstein rollen. Wo ortskundige alte Omas ihren eigentümlichen Humor pflegen und kuhäugig versichern, man sei spätestens in fünfzehn Minuten dort, wohin man wolle. Und froh sein können, dass sie einem eine dreiviertel Stunde später nicht erneut über den Weg laufen. Wo pralle Pferde auf saftig grünen Wiesen mit liebevoll restaurierten Bauernhöfen darum konkurrieren, das bessere Postkartenmotiv abzugeben. Und wo allenfalls die übel zugerichteten Leichen der Nacktschnecken, die sich nicht flink genug vom Fahrradweg kriechen konnten, für einen kurzen Moment in Erinnerung rufen, dass das Leben zuweilen auch seine traurigen Seiten hat.

Inmitten dieser eigentümlich staubfreien Idylle, in der dauerhaft zu leben wohl nicht nur empfindsamen Menschen Atemnot bereitet, sitzt Wolfgang Kleine seit mehr als einem Jahrzehnt. Und zeigt den WorpswederInnen in seiner Lichtbild-Galerie, die ihm zugleich als Wohnhaus dient, wie die Welt aussieht, wenn sie nicht aussieht wie Worpswede. Bilder des sowjetischen Fotoreporters Jewgeni Chaldej über die Gräuel des Krieges. Bilder des Stockholmer Fotokünstlers Christer Strömholm über die Hiroshimaopfer der zweiten Generation. Bilder von Milton Rogovin, in dessen eindringlichen Porträts von BewohnerInnen Buffalos sich die US-amerikanische Lebenslüge vom Segen des permanenten Fortschritts spiegelt. Oder, wie zuletzt, Aufnahmen des türkischen Magnum-Fotografen Ara Güler, der den ambivalenten Weg seiner Heimat vom Agrarland zur regionalen Großmacht festgehalten hat. Kurzum: Bilder, die Kleines zentralem fotografischem Credo entspringen: „Ein guter Fotograf muss zunächst und vor allem festhalten, wie die Welt ist. Sonst taugt er nichts.“

Bruce Davidson, dem Kleines nächste Ausstellung gewidmet ist, taugt zweifellos was. Zwei Jahre lang lebte und fotografierte der 1933 in Illinois Geborene im spanischen Viertel von Harlem, einem Slum inmitten von New York, bewohnt von Schwarzen und Weißen, deren Leben sich zwischen abgerissenen Straßenzügen, Unmengen Dreck und trostlosen Wohnungen abspielt. 1970 veröffentlichte Magnum-Mitglied Davidson die legendäre Fotoreportage „East 100th Street“, die schnell den Weg ins Museum of Modern Art fand und aus der die Lichtbild-Galerie nun knapp 50 schwarzweiß-Aufnahmen zeigt.

Davidsons Bilder sind entsetzlich traurig. Ein kleines Mädchen hockt gedankenverloren hinter einem vergitterten Fenster neben einem Vogelkäfig, ein steinalter Mann mit leerem Blick wartet in seinem armseligen Bett auf den erlösenden Tod, eine junge Frau klammert sich inmitten einer unbeschreiblich vermüllten Wohnung an ihr nacktes Baby.

Die Trostlosigkeit dieser Aufnahmen ist grenzenlos. Und dennoch gelingt es Davidson, die Würde jener Elenden, die im Hinterhof der pulsierendsten Metropole der Welt ums Überleben ringen, geradezu emphatisch zu zelebrieren, ohne die Individuen zu Ikonen der Armut zu stilisieren. Auch wenn die Lebensbedingungen höllisch sind, der Mensch, der in ihnen zu leben gezwungen ist, ist es nicht. Wenn Fotografie gut ist, sagt Wolfgang Kleine, gelingen ihr solche Bilder, die man nicht wieder vergisst. Und die man, wie Kleine freimütig gesteht, nach einer gewissen Zeit von den Wänden nehmen muss, weil sie nicht mehr zu ertragen sind.

Große Anerkennung hat sich der 63-jährige Ex-Maurer, Ex-Bergmann, Ex-Fluglotse und fotografische Autodidakt mit seiner Galerie-Arbeit in Worpswede nicht erwerben können. Die hohe Qualität der mittlerweile mehr als hundert Ausstellungen wird zwar ebenso wenig in Frage gestellt wie Kleines Verdienste um die Wiederentdeckung in Vergessenheit geratener Fotografenklassiker wie Peter Keetman, Heinrich Heidersberger oder Albert Renger Patzsch. Doch angemessen gewürdigt wird die Arbeit des Fotoenthusiasten vor allem außerhalb. „Die Worpsweder“, bemerkt Kleine, „finden nur selten den Weg hierhin."

Vielleicht liegt das daran, dass Wolfgang Kleine, dem der direkte, nicht immer diplomatische Umgang mit seinen Mitmenschen am Rande des Ruhrgebiets in die Wiege gelegt wurde, ein knorriger, kantiger Typ ist. Aber wohl auch deshalb, weil Kleines Ausstellungen nur wenig mit der penetranten Dorf- und Landschaftsromantik zu tun haben, mit der sich das Künstlerdorf Worpswede immerzu schmückt. Wie auch immer. In den Worpsweder Kulturkalender, der allerorten ausliegt und über die Ereignisse in der Stadt informiert, wird Kleines Galerie jedenfalls schon länger nicht mehr aufgenommen. Und der Galerist wiederum weigert sich, seine Ausstellungseröffnungen in örtlichen Werbeblättchen zu annoncieren, weil er nicht möchte, dass seine Arbeit zwischen hässlichen Anzeigen plaziert wird.

Schade auch. Denn so erfahren nur wenige WorpswederInnen, welches Kleinod sie da beherbergen am Neu-Bergedorfer Damm 44a. zott

Eröffnung „Bruce Davidson – New York East 100th Street“: Samstag, 4. September, 18 Uhr. Dauer: bis zum 31. Oktober von Freitag bis Sonntag zwischen 14 und 19 Uhr. Zur Ausstellung gibt es ein Katalogbuch. Infos unter Tel.: 04792/44 42.

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