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Heil Herzilein. Eine Landpartie    ■ Von Wiglaf Droste

Der Wirt hatte Hände, in denen Nullvier-Biertulpen aussahen wie Likörgläschen. Er war ein Humpen von Mann, groß, breitschultrig, bauchig, mit einem Berhardinergesicht, dem man nichts vormachen konnte. Ob seine Gäste johlend oder bedröppelt kamen, ob sie Lautstärke mit Fröhlichkeit verwechselten oder ihn zum Beichtvater machten, ob sie brütend und stumpf dasaßen oder ihre Hände auf den Tisch ballernd Karten spielten – ihm waren sie alle gleich. Und zwar gleich schlecht. „Sie taugen alle nicht!“ lautete sein Generalurteil.

Das Dorf war klein – so klein, dass man statt von Einwohnern von Seelen sprach. Obwohl es keine Kirche gab, auch keinen Laden, keine Post, keinen Fußballplatz. Nur Landarbeit. Wer hier jung war, sah zu, dass er wegkam. Wer blieb, blieb übrig.

Einer von den Übriggebliebenen saß in der Kneipe und schluckte Bier. Es passte viel davon in ihn hinein. Er war groß und bullig. Als hätte man ein Stück Fleisch großgezogen. Der Mann – nennen wir ihn „Fleisch“ – war jetzt 30. Sexuelle Erfahrung hatte er, wie bei männlicher Landbevölkerung nicht unüblich, vor allem im Stall gemacht. Fleisch starrte in sein Bier und dachte nichts.

Die Tür ging auf. Abwechslung schneite herein: Drei polnische Saisonarbeiter kamen vom Feld. Sie waren müde und durstig. Sie stellten sich an den Tresen, nickten jedermann zu und bestellten in gebrochenem Deutsch drei große Biere. Fleisch sah sie finster an, ging zur Musikbox und drückte zehnmal die Taste für „Herzilein“ von den Wildecker Herzbuben.

Die Polen bekamen ihr Bier, prosteten allen zu, tranken und machten „Aaaah!“ Fleisch stand auf und ging zum Tresen. „Polacken!“ sagte er bedeutungsvoll. Die Polen lächelten freundlich, bemüht, gutes Wetter zu machen. „Ja. Sind aus Pollän. Gutt Arrbeit. Jetzt trrinke Bierr“, antwortete einer der drei sehr milde. „Polacken!“ wiederholte Fleisch. „Zuhörn!“ befahl er und zeigte auf die Musikbox, aus der „Herzilein“ quoll, zum dritten Mal. Die Polen lauschten demonstrativ und lächelten wieder. „Schönnä Musikk“, log der Sprecher; vielleicht gefiel sie ihm aber auch.

„Tanzen!?“ bellte Fleisch und machte vor, was er meinte: Er hob den rechten Arm zum deutschen Gruß und stolperte im Kreis herum. Er war voll bis zum Rand; irgendetwas Dumpfes brodelte in ihm, und die Polen, hatte die Drüse in seinem Kopf beschlossen, waren sein Ventil. Die aber blieben friedlich. „Komm, Kollägä, trrinke Bierr!“ bot der Sprecher sogar an, aber Fleisch war böse. „Tanzen!“ brüllte er. „Los!“

Fragend sahen die Polen einander an. Dann zuckte einer von ihnen die Achseln und begann, sich langsam zu drehen, sein Bier in der Hand. Die beiden anderen taten es ihm nach. Fleisch war nicht zufrieden. „Grüßen! Ihr sollt grüßen!“ schrie er. „Herzilein“ plärrte, Fleisch torkelte, den rechten Arm nach oben gereckt. Plötzlich erstarb die Musik. Der Wirt hatte den Stecker der Musikbox aus der Steckdose gezogen. „Du gehst nach Hause“, sagte er zu Fleisch und schob den Brocken zur Tür. „Und ihr hört auf zu tanzen“, beschied er den Polen. „Das sieht ja verheerend aus.“

Fleisch taumelte zu seinem Stall. Die ganze Nacht hörte man Kühe brüllen.

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