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Wieder Milizenterror in Osttimor

Nach hilflosem Appell des UN-Sicherheitsrates verlassen Ausländer fluchtartig Dili. Stimmt Indonesien vielleicht doch internationaler Friedenstruppe zu?  ■   Von Jutta Lietsch

Jakarta (taz) – In Osttimor scheinen sich nun die düstersten Befürchtungen zu erfüllen: Obwohl die indonesische Armee hunderte zusätzlicher Polizisten einflog, kehrte gestern in Dili nach den schweren Auseinandersetzungen vor dem UNO-Gelände am Mittwoch keineswegs Ruhe ein. Im Gegenteil: Ungehindert zogen die proindonesischen Banden wieder durch die Straßen, errichteten Blockaden und bedrohten die Anwohner. Von den Berghängen im Süden der Stadt waren bis zum Abend Schüsse zu hören. Die Milizen zielten von dort aus auf den Ortsteil Becora, in dem die Unabhängigkeitsbewegung besonders stark ist. Mehrere Häuser gingen in Flammen auf. Einige Milizionäre rannten in das vor allem von Journalisten und Mitarbeitern internationaler Organisationen bewohnte Hotel „Turismo“ und drohten ihnen, bevor sie wieder verschwanden.

Die Auseinandersetzungen gleichen immer mehr einem höchst ungleichen Bandenkrieg: Auf der einen Seite versammelten sich mit Macheten, Steinen, Knüppeln und Äxten bewaffnete Anwohner, die erklärten, sie wollten sich und ihre Nachbarn vor den Übergriffen schützen. Weitaus besser ausgerüstet waren die proindonesischen Milizen. Viele trugen neben den traditionellen Waffen Gewehre und Pistolen. In einigen Fällen versuchten Polizisten, die Gewalt zu beenden. In anderen Orten schauten sie tatenlos zu oder waren wie vom Erdboden verschluckt. Wieder flohen zahlreiche Bewohner panisch aus ihren Häusern, um in den Dörfern vor der Stadt Schutz zu suchen. Mit Sonderflügen verließen Journalisten und zahlreiche ausländische Wahlbeobachter Dili.

Wie schon in der Vergangenheit reagierte die UNO auch nach den Angriffen der Milizen am Mittwoch vor dem Gebäude der UNO-Mission in Osttimor (Unamet), bei denen drei Personen umkamen, hilflos: Nach einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrates appellierte UN-Generalsekretär Kofi Annan an Indonesien, die Gewalt „sofort zu beenden“, die Unamet-Mitarbeiter zu schützen und die Täter zu verhaften.

Doch obwohl die Rufe nach einer bewaffneten Friedenstruppe in Osttimor immer lauter werden, gibt es bislang keine Anzeichen, dass die UNO Blauhelme dorthin schicken will. Bislang hatte Indonesiens Regierung das auch strikt abgelehnt und erklärt, sie könne die Sicherheit in ihrer „27. Provinz“ ganz allein garantieren.

Die internationale Empörung über die Fernsehbilder gewehrschwingender Milizen, untätiger oder gar mitschießender Polizisten und flüchtender UNO-Zivilbeamter hat aber in Jakarta offenbar doch Eindruck gemacht: Justizminister Muladi räumte erstmals ein, dass Indonesien Blauhelme akzeptieren könnte, falls sich die Mehrheit bei dem Referendum am Montag für die Unabhängigkeit entschieden hat.

Zwar bezeichnete Armeechef und Verteidigungsminister Wiranto die Berichte über die Krawalle in Dili als „übertrieben“. Doch Militärsprecher Soedrajat erklärte, falls es zu einem Bürgerkrieg komme, werde die Armee sich langsam aus Osttimor zurückziehen. „Die indonesischen Streitkräfte werden dann eine UNO-Friedenstruppe anfordern, um selbst sauber zu bleiben“, zitierte ihn gestern die Jakarta Post.

Die Entsendung ausländischer Soldaten nach Osttimor ist jedoch nicht nur unter Indonesiens Generälen höchst umstritten. Auch unter Politikern aller Richtungen gibt es Aversionen gegen die ausländische Einmischung. Denn die UNO wird als auf der Seite der Unabhängigkeitsbewegung stehend gesehen. Wie empfindlich die Stimmung ist, zeigt eine Reaktion der Präsidentschaftskandidatin Megawati Sukarnoputri. Sie empörte sich am Mittwoch darüber, dass das Resultat des Referendums nächste Woche gleichzeitig in New York und in Dili bekannt gegeben werden soll. „Warum New York, warum nicht in Indonesien?“ fragte sie.

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