piwik no script img

Alles ist gut

■ Zwei Schweizer Künstler tauchen im Künstlerhaus die Zerstörung der linearen Erzählung in jungfräuliches Weiß

Aids kann dazu führen, dass sich die Netzhaut vom Auge löst. Deshalb ist aus Derek Jarmans letztem Film eine Art Hörspiel fürs Kino geworden. Auf der Leinwand nichts, Leere, nur eine halbe Unendlichkeit statisches Blau. Eine Farbe, die den pathetischen Texten eine kontemplative Färbung verpasste.

Eine andere solche Farbe ist Weiß. In einer weißen Hügellandschaft aus Luftkissen im 1. Stock des Künstlerhauses (denkbar simpel aus einem Ballen Plastikplane und zwei Ventilatoren erschaffen) fiepst aus einem billigen Ghettoblaster eine 50minütige Collage aus 40 Textfitzeln und Pausen, Pausen, Pausen. Und Pausen sind in der Akustik das, was in der Optik die Farbe Weiß ist. Lautgedichte stehen neben Literarischem und Kunsttheoretischem. „Art, ari, arm, arg, ari, art...“ „Schneeweiß ist undefinierbar, es ist immer soviel Blau drin.“ „Ich habe mich aus dem mit Konventionen gefüllten Raum der akademischen Kunst herausgezogen und bin ins Weiß hinausgetreten.“ „Echtes Weiß ohne Nuancen ist denkbar uninteressant.“ Ein Meer von Brüchen, Analogien, Bestätigungen, Ergänzungen. Für den, der eismeereinsam (und im Künstlerhaus ist der Betrachter nicht selten einsam) zwischen weißen Wülsten flaniert, entfalten diese Texte eine Magie, wie sie zum Beispiel auch Bluesmusik dem trockenen Wort schenkt.

Anders als bei Dos Passos, Uwe Johnson, Walter Kempowski ist die Reihenfolge der verbalen Mosaiksteinchen nicht bewusst komponiert, sondern irgendwie John Cage-mäßig ausgewürfelt: ein Geschenk des Zufalls. Und der erweist sich als überaus generös und platziert zum Beispiel einen Text über Schneewittchen neben einem über Rapunzel. Auch die Textbausteine selbst schwemmte der Zufall an Land. Die Eigenleistung von Eric Schumacher und Andrea Clavadetscher: Ein Rundmailing an diverse Künstler, Schriftsteller, Kuratoren, Kritiker etc. mit der Bitte um einen x-beliebigen Textbrocken. Deren verdutztes Rückmailing: Ob es denn irgendwelche Vorgaben gäbe, zu Länge, Inhalt oder so. Antwort Schumacher/Clavadetscher: Ne, gibt's nicht. Und da die beiden offensichtlich Meister des Amor-Fati sind und so richtig hiobs-mäßig alles okay finden, was da kreucht und fleucht, haben sie jede eintrudelnde Antwort in ihr Tape mitaufgenommen. Alles ist gut.

Die Kuratoren erwiesen sich als faule (oder furchtsame) Säcke. Kein einziger produzierte für das Duo Wortmaterial. Und auch der Regisseur Pedro Almodovar nicht. Die Schweizer Star-Videokünstlerin Pippilotti Rist dagegen mailte immerhin, dass sie ein Stranger sei unter den Menschen. Boh hey.

Ein anderer Text ist rauchig wie ein Thrillertext eingesprochen, hört sich schwer nach Kunstschwurbeltheorie an, ist jedoch der Beginn eines Romans, über dem ein Bekannter der Beiden seit Jahren brütet. Aber das sollte hier eigentlich gar nicht stehen, weg damit, denn die Künstler wollen nicht, dass Autorenschaft und Umstände bekannt sind. Die Beiden haben übrigens auch einmal geschummelt: Zwei Texte über die Farbe Weiß wurden nicht exklusiv gemailt, sondern bewusst – igitt – aus dem Buch „Crome“ von, ja genau, Derek Jarman ausgewählt. Alle weiteren Erwähnungen des Wortes Weiß – es sind nicht wenige – gehen angeblich wieder mal aufs Konto von Freund Zufall.

Die beiden sind eigentlich weniger Künstler als eine Art Künstleragentur, die Künstler zusammenbringt (mal waren es Musiker, mal Musiker und Computergrafiker). Sie designen lediglich (aber ist das lediglich?) den Raum, in dem Kreativität passiert. Deshalb wurden sie auch von den Damen des Künstlerhauses ausgewählt als Auftakt zu „over high – over (f)low. Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe zu Ein- und Ausschlußmechanismen im Betriebssystem Kunst“. In einer Art Fortschreibung kubistischer und postmoderner Konzepte bündeln sie viele verschiedene Sichtweisen und Perspektiven in einem Raum. bk

Vernissage, heute, 4. September, 20 Uhr; bis 15.10. Am Deich 68/69. Mi-Fr+So 15-18 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen