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Kunst zum Anziehen

Von humoriger Leichtigkeit zu neuer Professionalität: Bei der 13. AVE-Modemesse in der Arena in Treptow beherrschten tragbare Moden den Laufsteg  ■   Von Kirsten Niemann

Nach drei Jahren also nun die Auferstehung. Denn „schwer vermisst“ wurde die „Modemesse der Gläubigen“ vom Berliner Publikum. So steht es zumindest im Pressetext. Ob es an den unerwartet hochsommerlichen Abendtemperaturen lag oder schlicht daran, dass dieser Tage noch viele andere Modeveranstaltungen anstehen: Nur ein Bruchteil der erwarteten Gäste war dazu bereit, den stolzen Eintrittspreis von 28 Mark zu bezahlen, um den Samstagabend in der dunklen Halle der Arena zu beginnen.

Dabei war die Geschichte der AVE bisher immer auch eine des Erfolgs: Mit 15 Berliner Modeschöpfern und rund 700 Zuschauern, die sich in eine enge Fabriketage in der Osloer Straße quetschten, fing vor elf Jahren alles an. Die Zahl der Besucher stieg stetig und pendelte sich vor drei Jahren bei 5.000 ein. Die AVE wurde zu einer Massenveranstaltung. Ein guter Zeitpunkt aufzuhören, fanden die Veranstalter, das Geschwisterpaar Gabi und Kai Heimberg damals. „Es war so super gelaufen, ab mittags hatten wir quasi nichts mehr zu tun“, erzählt Kai Heimberg.

Das hatte es bei der AVE, der bis dahin immer die Aura des Chaotischen anhaftete, vorher noch nie gegeben. Und das schaffte vor allem Erfolgsdruck. „Wir hatten das Gefühl, das nächste Mal müsse etwas Besonderes passieren, was Neues. Schließlich wollten wir ja kein Dinosaurier der Achtziger werden.“ Deshalb sollte diesmal auch alles ganz anders sein: straighter, professioneller, moderner eben.

Vom ökonomischen Druck haben sich die Heimbergs befreit, indem sie wohl noch als Organisatoren, aber nicht mehr als Veranstalter auftreten. Das finanzielle Risiko übernahm jetzt die Arena. Auch den Designern, die ja in der Regel noch bis zum Vorabend an ihren Kollektionen nähen, wurde eine Last abgenommen: Um die gröbsten Peinlichkeiten der letzten Jahre zu vermeiden, sollten diesmal keine pummeligen Dilettanten über den Catwalk stolpern.

Die Models wurden vom Veranstalter gestellt und von einem professionellen Choreografenteam instruiert. Selbst die zotigen Anmoderationen, in der Vergangenheit oft Pausenfüller, um für die Models ein paar Sekunden mehr Zeit zum Umziehen herauszuschinden, wurden gestrichen. Stattdessen gab es riesige Leinwandprojektionen. Kurz: Nicht mehr die Inszenierung der Mode mit ihrem charmanten Drumherum stand im Mittelpunkt, sondern die Kollektionen selbst.

Eine Sache, die der Mode an sich nicht schaden konnte, aber doch eine gewisse Nüchternheit zur Folge hatte. Also kein begeistertes Gejohle mehr seitens des Publikums, es wäre hier eh fehl am Platz gewesen. Doch mit der neuen Professionalität ging leider auch die humorige Leichtigkeit der alten AVE flöten. Dennoch: Das Resultat war Design total. An 44 Ständen verkauften die Designer ihre Waren, die Hälfte von ihnen nahm auch an der Präsentation teil. Den fulminanten Auftakt der Show bildeten die Schüler der internationalen Modeschule Esmod, die auf mittlerweile kaum einer Modepräsentation fehlen: Aufwendig gearbeitete Gespinste in lang, bekrönt von meterhohen Kopfbedeckungen, die kaum noch als Hüte zu beschreiben sind. Dann der Kontrast: Mannequins, vermummt vom Scheitel bis zur Hacke. Hauben, die eng wie Taucheranzüge am Schädel liegen und nur noch Augen und Nase frei lassen. Kunst zum Anziehen, stimmig und überaus fantasievoll umgesetzt.

Ansonsten beherrschte Tragbares den Laufsteg, jedoch nicht ohne Raffinesse: Etwa die avantgardistisch anmutenden Sommeranzüge für Herren von Harryet Lang, deren Jackett-Schultern von anmutigen Flügel-Assecoires veredelt wurden. Das Motto: Ungewöhnliches Design zum Ausgehen. Oder die prächtigen Roben und Mäntel der Dresdnerin Ana Ogi: Hauchdünne Kleider mit schmaler Silhouette werden begleitet von opulenten Mänteln. Oder der sportive Look von Evelyn Schreiber und Irene Sang, die sich zum Label IS & ES formiert haben.

Witzig: Schreibers eng anliegenden, taillenlangen Schürzen zum Umschnallen, die, kombiniert mit knielangem Rock mit schmaler Silhouette einen geradezu kessen Buchhalterlook ausdrücken. Ein bisschen trummig vielleicht, aber dennoch gelungen sind die „Skulpturen zum Anziehen“, die aus festen Umzugsdecken gesteppten Mäntel und Jacken von Nada Sebestyen.

Die Newcomer Alice Moewius und Pauline Müller präsentierten unter dem Label Choose ihre erste Kollektion mit dem Thema Banditos: eine Art Westernmode, die statt Fransen-Accessoires ihre Röcke und Hosen mit mannigfaltigen Variationen von Volants garniert.

Nur einzelne Labels haben enttäuscht: die Kollektionen von Eisdieler, denen seit Jahren nichts Neues einfällt. Auch von Respectmen, vor zwei Jahren noch als innovativer Herrenschick gefeiert, hätte man mehr erwartet: Erstmals traten sie mit einer Damenkollektion an, die sich jedoch nur unwesentlich vom Hennes & Mauritz-Office-Schick abheben konnte.

Alles in allem war die AVE eine gelungene Veranstaltung, die einmal mehr bewies, dass Berlin seinen Rang als Modestadt zu Recht behauptet. Bequeme Mode für alle Gelegenheiten, Inspirierendes, das keineswegs im Widerspruch zur Tragbarkeit steht, sind die kreativen Trends der Nachwuchsdesigner. Eine erfreuliche Entwicklung, zumal sich so wohl auch manches Stück verkaufen lässt. Es bleibt also zu hoffen, dass die Geschwister Heimberg auch im nächsten Jahr – trotz geringeren Publikumszulaufs – wieder eine „Modemesse für Gläubige“ geben.

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