piwik no script img

Last Exit Vergebung

■ Der 71-jährige Hubert Selby las in den Kammerspielen aus seinem neuen Roman „Willow Tree“ – der erste seit 20 Jahren

Vertreter einer aussterbenden Spezies sollte man sich anschauen, solange es noch geht. Diese last chance to see führte am Montagabend allerdings nur etwa 40 Leute in die Hamburger Kammerspiele, um Hubert Selby beizuwohnen, dem letzten lebenden Direkt-Erben der Beat-Generation und Vorbild für Irvine Welsh und Henry Rollins.

Zu sehen bekamen sie erwartungsgemäß einen 71-jährigen Mann, der sich schwer atmend an sein Pult setzt. Mit leiser, heiserer Stimme bedankt er sich für den Applaus und beginnt seinen Vortrag ohne lange Preliminarien. Selby liest langsam und eindringlich, fast beschwörend, Passagen aus seinem neuen Roman Willow Tree. Unaufdringlich passt er seine Intonation den verschiedenen Figuren an. Eine schwarze teenage mother, eine ältere puertoricanische Frau und der Protagonist des Romans, der 13-jährige Bobby, sprechen aus dem Mund des bleichen alten Mannes.

Im Kontrast dazu erscheint Barbara Nüsses Vortrag der deutschen Übersetzung zunächst etwas hektisch. Bald wird jedoch klar, dass die Unterschiede in der Diktion vor allem thematisch bedingt sind: Nüsse hat in erster Linie die Selby-typischen Stellen ausgewählt, in denen Gewalttätigkeiten beschrieben werden oder die Charaktere ihrer Verzweiflung Ausdruck geben.

Willow Tree ist das, was man ein Alterswerk nennt, und Selby selbst will genau das zeigen, indem er sich vor allem auf die kathartischen Passagen konzentriert. Seit Last Exit to Brooklyn (1964) geistert er als „Kultautor der Gewalt“ durch die Feuilletons – sein erster Roman seit 20 Jahren hat nun das Thema „Erlösung durch Vergebung“. Georg Felix Harsch

„Willow Tree“ erscheint Mitte Oktober bei Achilla Presse

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen