: Berliner Wahlplakate: Peinlich und provinziell
■ Der Düsseldorfer Werbepapst Michael Schirner über die Kampagnen der Parteien: Mit nichts sagenden Slogans und einer naiven Gestaltung bedienen sie die Angst der Berliner vor Veränderung. Niemand traut sich, den Wählern zu sagen: Wir gestalten das neue Berlin, wir wollen andere Akzente setzen
Die Parteien bitten zum Fototermin. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Wahlkampfleiter mit großem Brimborium eine neue Serie von Wahlplakaten enthüllt. Die Begeisterung des Publikums hält sich in engen Grenzen, doch den Parteien scheint das gleichgültig zu sein: Schließlich geht es vor allem darum, im Stadtbild Präsenz zu zeigen. Man könnte es aber besser machen. Viel besser, glaubt der Düsseldorfer Werbeprofi Michael Schirner. Für die taz analysierte er die Kampagnen der vier im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien: Was sagen die Slogans aus? Wie haben die Agenturen die Plakate gestaltet? Was wollen sie uns damit sagen? Das Ergebnis ist ernüchternd: Nichts als Provinzialität und Dilettantismus las Schirner aus den Plakaten, mit denen Berlins Lokalpolitiker für sich werben wollen.
Die Berlin-Kampagnen der Parteien sind alle gleich schwach. Es gibt ein Qualitätsgefälle im Vergleich zu den Bundestags-Wahlkampagnen, aber auch im Vergleich dazu, was bei Werbekampagnen heutzutage Standard ist. Die Parteien haben einfach schwache Agenturen beauftragt.
Das ist ein grundsätzliches Problem. Die Politiker in den Ländern wollen sich vom Bund unterscheiden: Wir sind etwas Eigenes, also müssen wir eine eigene Kampagne machen. Das ist Quatsch. Die nationale Kampagne ist in den Köpfen, sie muss durch eine regionale Kampagne nur noch aufgefrischt werden. Identität entsteht nicht durch tausend unterschiedliche Auftritte, sondern durch eine Stimme und einen Geist.
Dann haben die Politiker auch noch den Wunsch, regionale Agenturen zu beauftragen. Aber in Berlin gibt es zu wenig professionelle Agenturen, das kommt erst langsam. Deshalb ist man auf Freunde und Bekannte ausgewichen. Danach sieht's auch aus.
Der CDU-Slogan ist frech: Wir wollen 100 Prozent
Fangen wir mit den Slogans an: „Berlin bleibt doch Berlin“ bei der SPD. Anscheinend hat man Angst, dass Berlin sich verändert, und die SPD versichert: Wenn ihr uns wählt, bleibt alles beim Alten. Das ist eine glatte Lüge – oder eine Leerformel. Berlin verändert sich, Gott sei Dank. Dieses Neue ist ja gerade die Chance für eine Partei, die für einen neuen Start wirbt.
Genauso ist es bei den Grünen: „Berlin ist anders.“ Obwohl es anders klingt, meint es dasselbe. Es ist ebenfalls ein Versuch, auf eine eigene Identität der Stadt zu verweisen: Berlin ist Berlin. Das ist genauso nichts sagend wie bei der SPD. Und der Slogan der PDS, „Berlin für alle“ – das ist einfach eine Nullaussage.
Aber bei der CDU gibt es einen sehr interessanten Slogan. Es kann allerdings sein, dass ich das ein bisschen subjektiv sehe. „CDU: 100 % Berlin“ – das erinnert mich an die T-Shirts, die in Brasilien am Strand getragen werden. Darauf steht: „100 % negro“, also 100 % schwarz. Ich finde es sehr lustig, dass ausgerechnet die Schwarzen diesen Satz benutzen. Der Slogan ist auch ziemlich frech, weil er sagt: Wir sind die Stadt. Wir wollen 100 Prozent. Insofern ganz munter, eine Abweichung von üblichen Klischee-Slogans. Eine Sensation ist das aber auch nicht.
Und dann die Gestaltung. Die Grünen sind naiv und bedienen sich aller Klischees. Sie haben eine Kampagne gemacht, die aussehen soll wie Werbung, aber keine richtige Werbung ist. Da werden auf dem Niveau von Kunsthochschülern die unterschiedlichsten Ideen zusammengewürfelt. Peinlich ist das Plakat mit dem Gemüse, das man wählen soll: „So schmeckt Weltstadt.“ Oder für „starke Frauen“ die alte Nofretete herauszuholen und ihr grüne Lippen zu verpassen. Nett ist das Motiv mit den beiden jungen Leuten im Unterhemd. Einfach, weil das Bild in Ordnung ist. „Jugend forscht“ mit dem küssenden Paar wiederholt nur einen uralten Kalauer. Insgesamt: Gut gemeint, aber nicht gekonnt.
Bei der SPD sieht's professioneller aus. Richtige Bilder und Headlines, wie man sie aus der Werbung kennt. Aber bei den Inhalten wird's grauenhaft provinziell. „Ihr Platz ist uns genauso wichtig wie der Potsdamer Platz“, und dazu einen Typen im Liegestuhl auf dem Rasen – das ist einfach vom Gedanken her blöde. „Mehr Mäuse für die Schule“ mit der Maus und dem Jungen am PC – das sagt auch nichts. Und ganz daneben ist natürlich auch das Momper-Motiv im Gespräch mit Arbeitern. Das sieht sehr nach DDR aus.
Die PDS ist nicht mehr so scharf wie vor vier Jahren
Die PDS verschenkt die Aussagen, die sie als echte Opposition machen könnte. Sie macht SPD-Aussagen. „Busse und Bahnen – ein teures Vergnügen“: Das kann jeder sagen. Dann die Gummibärchen, „keinem Bonner wird es schlechter gehen“. Das ist alles ziemlich schwach im Vergleich zu der scharfen Kampagne, die die PDS vor vier Jahren gemacht hat. Das war eine sehr muntere, provozierende Kampagne. Jetzt ist es nur noch ordentlich gestaltet, aber die Inhalte sind weg.
Dabei müsste es für eine Opposition leicht sein, eine gute Kampagne zu machen. Weil sie nicht daran gemessen wird, was sie getan hat, sondern daran, was sie fordert. „Mit uns wird Berlin anders“, müsste die PDS eigentlich sagen. Wir machen mit bei diesem Veränderungsprozess, wir setzen andere Akzente.
Die CDU hätte ich fast vergessen! Die beiden Bären sagen „Rot grün ohne uns“ – gut, Rot-Grün ohne die Bären, aber vielleicht mit den Berlinern. Das sagt natürlich nichts, außer: Wählt nicht Rot-Grün. Und die Folgemotive – das sind nur die alten Leerformeln mit einer modernistischen Computergrafik. „Zukunft für alle, Sicherheit für alle“, „Moderne Stadt, lebenswerte Kieze“, „Neue Arbeit, neue Jobs“: Das sagt, will oder meint doch jeder.
Und diese Postkarte „Wer einmal lügt“, mit den Glatzen von Momper und Gysi – das ist einfach doof. Es weiß doch jeder, dass alle lügen. Darum geht es nicht. Wenn man die beiden diskriminieren will, hätte man ein bisschen böser werden müssen.
Wie man es besser machen könnte? Die Kampagne muss ein Konzept haben, eine Idee, eine Vision. Ein nahe liegendes Konzept ist: Wir machen das neue Berlin, wir machen Berlin zur Metropole und wir wollen, dass die Berliner mitmachen. So eine Metropolenkampagne hatte meine Agentur 1991 für Berlin gemacht; es war die Bewerbungskampagne von Berlin um die Olympischen Spiele im Jahr 2000. Symbol der Kampagne war das stilisierte Bärengesicht auf Gelb. Damals führte die Kampagne zu einem Skandal, weil die meisten Berliner keine Metropole wollten. Heute ist Berlin auf dem Weg zur Metropole und ich glaube, unser Bärchen könnte ein guter Kandidat für das neue Berlin sein. Michael Schirner
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