: Wie weit kann Timo denken?
■ Beim 4:0 über Italien in der Europaliga beweisen die deutschen Tischtennisspieler, dass die Nachwuchsförderung intakt ist – noch
Bad Wildbad (taz) – „Begrüßen Sie mit uns Lars Hiescher, nein, Hielscher.“ Weniger Probleme als der Hallensprecher mit seinem Namen hatte der 20-jährige Tischtennisspieler gegen den Weltranglisten-38. Yang Min. Mit seinem überraschenden Erfolg über Italiens Nummer eins legte der Nationalmannschafts-Debütant den Grundstein zum glatten 4:0 der Deutschen in der Europaliga. „Das war das Break“, entlehnte Trainer Dirk Schimmelpfennig einen Fachbegriff aus einer entfernt verwandten Sportart.
„Rebreaks“ ließ man anschließend vor rund 1.000 Zuschauern in Bad Wildbad-Calmbach nicht mehr zu. Jörg Roßkopf fertigte den überforderten Fabio Andreioli im zweiten Satz mit 21:4 ab. Aufreizend lässig agierte einmal mehr der stets grinsende Jungstar Timo Boll (TTV Gönnern) beim 2:0 über Massimiliano Mondello. „Bei ihm habe ich immer das Gefühl, dass er mehr bringen könnte“, bekannte der Bundestrainer, „das ist aber auch ein gutes Gefühl, weil er es bringen kann.“
Hielscher aber war die Entdeckung des Spiels. Mit Yang Min platzierte er bei seinem „eindrucksvollen Einstand“ (Schimmelpfennig) immerhin den besten Europaliga-Spieler der Saison 97/98 ein ums andere Mal aus. 21:8 gewann er den ersten Satz gegen den Penholder-Spieler. Der befand sich auch im zweiten Satz beim 13:15 auf der Verliererstraße – bis Italien eine einminütige Auszeit nahm. „Sehr clever gemacht“, befand Roßkopf, denn die auf internationalem Parkett neue Regel brach Hielschers Rhythmus. Ungestört von weiteren Auszeiten steckte der deutsche Ranglisten-Sechste das 18:21 weg und setzte sich im dritten Abschnitt nach fulminantem 10:1-Start mit 21:13 durch. Als Betreuer begrüßt Schimmelpfennig natürlich die zusätzliche Pause. „Der Spieler kann sich nochmals konzentrieren. Man kann ihn frisch einstellen und den gewünschten Tipp geben.“ Gleichwohl weiß der Erfolgscoach, dass der in Führung liegende Akteur meist weniger „begeistert ist“. Auch wenn sich Hielscher bei der Auszeit-Premiere benachteiligt fühlte, plädierten die Akteure für die Einführung in der Bundesliga. „Dann kann das Fernsehen Werbung einspielen“, verwies Roßkopf mit einem Augenzwinkern auf die TV-Malaise des Sports.
Für Schimmelpfennig gab es eine wichtigere Erkenntnis als die, durch einen Sieg in Belgien oder zu Hause im dritten Vergleich gegen Griechenland das Mindestziel Halbfinale zu erreichen. Trotz aller Verbandsquerelen um die Finanzen, derentwegen das Präsidium mit Rücktritt droht, scheint die Nachwuchsförderung intakt. „Den Sieg heute darf man nicht überbewerten. Aber ich hege die Hoffnung, dass der bittere Kelch anderer Sportarten nach dem Bosman-Urteil an uns vorüber geht“, erklärte Schimmelpfennig. Hinter dem 30-jährigen Roßkopf, der nach einer fünfmonatigen Pause „sehr große Lust“ auf Tischtennis verspürt, Steffen Fetzner und Peter Franz schließt sich die Lücke. „Ich merke, wie uns sechs, sieben Junge national die ersten Plätze streitig machen“, bekannte der 233-fache Rekordnationalspieler.
Hielscher und der Ersatzmann in Calmbach, der 21-jährige Zoltan Fejer-Konnerth (Gönnern), schafften wie nur neun weitere Deutsche den Sprung in die Bundesliga. Von den 50 Plätzen sind 16 von Chinesen besetzt. Die gilt es auch international zu schlagen. „Bis auf Wladimir Samsonow sind die europäischen Spitzenspieler alle um die 30. Die Chinesen haben dagegen lauter Weltklassespieler Anfang 20“, referiert Roßkopf. Einer aus Deutschland könnte sie herausfordern. „Wie weit denkst du, Timo?“ „Bis zum Abendessen!“ Den Dialog im Mannschaftskreis korrigiert der 18-jährige Boll jedoch schnell. „Ich will mich in der Weltspitze etablieren.“ Hartmut Metz
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