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„Immer weniger Betriebe melken noch“

Landwirte müssen die Bevölkerung ernähren, aber zugleich sparsam mit Ressourcen umgehen. Eine Initiative will diesen Zwiespalt den Bürgern nahebringen  ■ Von Eberhard Spohd

Damhirsche röhren im Wildgehege, Kröten kriechen durch das Naturschutzgebiet Schnaacken-moor. Nördlich der Vorortvillen Rissens, der schmucken Einfamilienhäuser mit ihren gepflegten Vorgärten und den geplättelten Zufahrten, auf denen Volvo-Kombis parken, liegt der Klövensteen, eines der beliebtesten Naherholungsgebiete Hamburgs, mit seiner Wald-, Moor- und Heidelandschaft. Dort sucht der Städter die Ruhe und Natur, die er in der City nicht findet – und auf dem Feldweg kommt ihm ein schwerer Traktor entgegen, mit dem ein Bauer Gülle auf seinen Feldern verteilen will.

Ein Anblick, den die Spaziergänger, Reiter und Radfahrer gar nicht mögen. Der Lärm von landwirtschaftlichen Maschinen und der Gestank nach Mist stören nur. Cord Ladiges, selbst Landwirt in Rissen, kennt diesen Konflikt: „Am Wochenende können wir eigentlich gar nicht auf unsere Felder fahren. Die Wege sind voll, und niemand weicht uns aus, wenn wir mit dem Trecker unterwegs sind.“

Insgesamt gibt es in Hamburg noch 1500 landwirtschaftliche Betriebe, die zusammen eine Fläche von rund 20.000 Hektar bewirtschaften. Das ist mehr als ein Viertel der gesamten Fläche der Hansestadt. Der Großteil davon sind Gartenbaubetriebe und Obsthöfe in den Vier- und Marschlanden und im Alten Land. Aber rund 200 Landwirte betreiben noch Bauernhöfe, wie die Städter sie sich vorstellen: Mit Kühen auf der Weide und Getreideanbau auf den Äckern. Ihr Anteil wird allerdings geringer: „Immer weniger Betriebe melken noch“, sagt Ladiges, „und immer mehr stellen auf Pferdehaltung um.“ Das sei lukrativer und werde von der Gesellschaft eher akzeptiert.

Mangelnde Akzeptanz ist ein Problem, mit dem Ladiges und seine Kollegen zu kämpfen haben. Das andere ist ihr Image: „Fast täglich vermelden die Medien neue Hiobsbotschaften, sei es der BSE-Skandal, sei es die Überdüngung der Felder und die Verschmutzung des Grundwassers, sei es die nicht artgerechte Massentierhaltung.“ Die Bevölkerung ist zwar für ihre Ernährung auf landwirtschaftliche Produkte angewiesen, könne aber nicht mehr nachvollziehen, woher diese eigentlich kommen und wie sie produziert werden.

Um dies zu ändern hat die Fördergemeinschaft Integrierter Pflanzenbau (FIP) die Initiative „Landwirtschaft zum Anfassen“ ins Leben gerufen. „Wir brauchen trotz aller konkurrierender Nutzungsansprüche an die Flächen in und um Hamburg mehr unternehmerischen Freiraum, wenn wir das Überleben der Landwirte in Hamburg sichern wollen“, erläutert Wilhelm Grimm, Präsident des konservativen Bauernverbandes Hamburg, den Sinn dieser Aktion. Politiker, die nicht landwirtschaftlich ausgebildet seien, wollten denen, die es gelernt hätten, per Gesetz und Verordnung beibringen, wie es geht. Landwirte sollten aber individuell entscheiden können, wie sie wirtschaftlich, aber auch verantwortlich mit ihrem Land und ihren Tieren umgehen. „Das bedingt jedoch das Verständnis der Bevölkerung für die moderne Landwirtschaft.“

Insgesamt 550 Familien in der ganzen Bundesrepublik engagieren sich in diesem Vorhaben und laden zu Betriebsbesichtigungen ein. Ab diesem Wochenende haben sich auch 19 Hamburger Betriebe aus allen agronomischen Sparten bereit erklärt, ihre Hoftore zu öffnen.

Cord Ladiges ist einer von ihnen. In seinem Stall stehen 70 Rotbunte-Holstein-Rinder und, über das Jahr verteilt, etwa 80 Jungtiere. Auf 70 Hektar baut er Mais, Winterweizen, Raps und Triticale, eine Getreidezüchtung, die zu Viehfutter verarbeitet wird, an. „In der Großstadt Bauer zu sein, ist etwas Besonderes“, erklärt er seine Motive, an der Initiative teilzunehmen, „wir müsen zeigen, dass die Berührungspunkte mit der Bevölkerung nicht zu Konflikten führen müssen.“

Er will interessierten Bürgerinnen und Bürgern erklären, wie ein industrialisierter Hof funktioniert: „Wir müssen ihnen klar machen, dass wir kein Interesse daran haben, aus unseren Tieren und der Natur einen kurzfristigen Profit zu schlagen.“ Auch kritischen Fragen will er sich gerne stellen. Beim Rundgang über den Hof zeigt er seine Tiere. Und seine Maschinen, ohne die er nicht wirtschaften könnte.

Über computergesteuerte Automaten kontrolliert er die Kraftfutterzugabe bei seinen Milchkühen. So hat er jederzeit den Überblick, wieviel jedes Tier zu sich genommen hat, und bekommt Vergleichszahlen zur Milchleistung. 7500 bis 8000 Liter geben seine Rotbunten im Jahresschnitt. Ebenso genau muß Ladiges planen können, wieviel Gülle er auf seinen Feldern ausbringen muss. Dazu misst er jährlich den Stickstoffgehalt der Böden und vor jeder Ausfahrt dessen Anteil in der Gülle, um genau zu berechnen, welche Flüssigkeitsmenge er verteilen muß. Dabei helfen ihm Tabellen über den Düngebedarf der Pflanzen und seine Erfahrung, denn schließlich soll der für das Wachstum essentielle Stoff im Getreide landen und nicht das Grundwasser belasten. Bei Schädlingsbekämpfungsmitteln geht er ähnlich vor: „Darüber mache ich mir die meisten Gedanken. Ich muss mir genau überlegen, ob und wieviel ich spritze.“ In diesem Jahr sei es zum Beispiel nicht nötig gewesen, den Raps zu behandeln, da ohnehin kaum Rapsglanzkäfer auftraten.

Ladiges will kein Ökobauer sein, aber dennoch die natürlichen Ressourcen schonen. Sein Wasser fördert er aus dem eigenen Brunnen. Er ist stolz darauf, dass bei der jährlichen Analyse ein Nitratgehalt von 5 Milligramm pro Liter festgestellt wurde. Der Grenzwert liegt bei 50 Milligramm. „Das zeigt, dass wir nicht zuviel Gülle gefahren haben und die Düngemittel nahezu komplett von den Pflanzen gebraucht wurden“, freut er sich. Er weiß wohl, dass viele Stoffe, mit denen er hantiert, gefährlich sind, erreicht aber durch den kontrollierten Umgang mit ihnen, dass die Umweltbelastung minimiert wird.

Natürlich hat dieser sorgsame Umgang mit giftigen oder belastenden Stoffen nicht nur ökologische Gründe. Jeder Liter Pflanzenschutzmittel kostet ihn Geld. Wenn der Betrieb wirtschaftlich sein soll, muß der Landwirt auch genau rechnen. Aus diesem Grund hat Ladiges seinen Betrieb stark rationalisiert. In seinem Melkstand stehen zwölf Kühe gleichzeitig: „Damit brauche ich nur noch eine Stunde, um meine 70 Rinder zu melken.“

Der Einsatz von technischen Geräten oder Computern auf einem Baurernhof entspricht kaum dem Bild, das die Städter vom Landleben haben: „Die meisten werden davon abgeschreckt, weil sie sich ganz andere Vorstellungen machen.“ Auch die Scheu vor den modernen Produktionsmethoden will Ladiges Besuchern der Initiative „Landwirtschaft zum Anfassen“ nehmen.

„Schließlich ist es nötig“, wird der Hamburger Bauernpräsident Grimm global, „die Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung auf gleichbleibender landwirtschaftlicher Fläche zu gewährleisten.“ Außerdem hätte die Erste Welt auch eine Verantwortung gegenüber der Dritten, betont er: „Unsere Erfahrungen und Forschungsergebnisse werden auch dort eingesetzt, wo es keine Möglichkeiten zu forschen gibt.“

Informationen zu Initiative und Besichtigungstermin: Bauernverband Hamburg, Brennerhof 121, 22113 Hamburg, Telefon: 78 46 89

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