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Mauscheleien im Altenheim

Rentner allein brachten nicht genug Rendite: Seniorendienstleister soll auch noch die eigenen Aktionäre abgezockt haben  ■   Von Volker Siefert

Berlin (taz) – Noch vor wenigen Monaten war Paul Kostrewa der heimliche Star der boomenden Seniorendienstleistungsbranche. Jetzt droht der Absturz.

Als erster Altenwohnheimbetreiber brachte Kostrewa 1997 die von ihm gegründete Refugium Holding AG aus Königswinter bei Bonn an den Neuen Markt der Frankfurter Börse. Mit dem frischen Geld der Kleinanleger ging er von Kiel bis Garmisch-Partenkirchen auf Einkaufstour. 58 Heime mit rund 6.000 Betten versammelte er unter dem Dach der Holding. Selbst bis nach Mallorca streckte er seine Fühler aus. Als erster deutscher Unternehmer kaufte er dort ein Altenheim. Werbemotto: Deutsche Rentner erhalten auch auf der Sonneninsel Leistungen aus der Pflegeversicherung.

Geschäftsgrundlage für Kostrewas hochfliegende Pläne war die wachsende Nachfrage nach Seniorendienstleistungen, finanziert aus den Pflegekassen. Doch sein Traum von der Marktführerschaft ist ausgeträumt. Jetzt ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft gegen ihn. Er soll mit drei ehemaligen Vorstandskollegen Bilanzen gefälscht und auf Kosten der Aktionäre zweistellige Millionenbeträge in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Der Verdacht: Kostrewa kaufte billig heruntergekommene Altenheime von Kommunen und verpachtete sie zu weit überhöhten Preisen an Refugium.

Der neue Vorstandsvorsitzende Klaus Küthe, der Kostrewa im Juni abgelöst hat, sorgte jetzt für Schadensbegrenzung, indem er die geschönten Zahlen veröffentlichte: Allein im ersten Halbjahr 1999 hat Refugium 71,2 Millionen Mark minus gemacht. Heiko Bienek von Independent Research sieht darin ein Musterbeispiel für den gesamten Seniorendienstleistunsbereich. „Es ist leider eine Mauschelbranche mit ganz vielen schwarzen Schafen“, sagt der Börsenanalyst.

Angesichts dieser Tatsache ist es erstaunlich, wie arglos der Aufsichtsrat der Refugium AG Kostrewa zwei Jahre gewähren ließ. Weder die ehemalige Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch noch Werner Stump, Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag, haben gemerkt, was da vor sich ging. Stump sieht keinen Anlass zur Selbstkritik: „Ich bin meiner Sorgfaltspflicht nachgekommen“, sagt der CDU-Landratskandidat bei den Kommunalwahlen. Er fühlt sich von Kostrewa, dem er seit 1993 durch Immobiliengeschäfte verbunden war, im Nachhinein getäuscht: „Auf dem Seniorenwohnheimmarkt ist die Konzentration in vollem Gange. Der eingeschlagene Kurs der Refugium ist in Ordnung, das Rad muss nur neu gedreht werden“, so Stump. Für den Börsenexperten Bieneck versucht Stump mit solchen Ausflüchten seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: „Der gesamte Aufsichtsrat hat kläglich versagt.“

Rönsch geht ganz auf Tauchstation. Auf Anfrage lässt sie durch einen Mitarbeiter mitteilen, „dass sie sich zu Refugium nicht äußern will“. Schweigsam ist auch der stellvertretende Betriebratsvorsitzende Bernd Fahle. „Wenn ich der Presse Auskunft gebe, könnte das für die Aktie schädlich sein.“

Seit Anfang 1999 wurde die Zahl der Mitarbeiter bei Refugium von knapp 4.000 auf 3.000 abgebaut. Weitere Entlassungen sind geplant. Für Thomas Isenberg, Pflegeexperte bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände zeigen die Mauscheleien, dass der einzelne Pflegepatient und Altenheimbewohner zu einer „vernachlässigbaren Größe in dem Spiel um mehr Rendite geworden ist“. Er hält es für bedenklich, wenn das Geschäft mit dem Alter ohne ausreichende Kontrolle erfolgt. Er sieht die Notwendigkeit, das Aktienrecht mit Blick auf den Betrieb von Seniorenwohnheimen zu überprüfen. „Ich zweifle daran, dass die Kontrolle durch die Aufsichtsräte genügt, um die soziale Dimension dieses Geschäftsfeldes zu überschauen“, so der Verbraucherschützer. Wie man mit der „sozialen Dimension“ Geschäfte macht, hat Kostrewa bereits Anfang der 90er-Jahre gelernt. Im Rhein-Sieg-Kreis hat er im großen Stil Asylbewerberheime an Gemeinden verpachtet. Pro Asylbewerber kassierte er 806 Mark für ein Bett in Räumen mit bis zu sechs Bewohnern. In Windeck, erinnert sich die grüne Gemeinderätin Ute Krämer-Bönisch, ließ er, während die Asylbewerber noch dort wohnten, die Unterkunft von Betreuungspersonal zu einem Altenheim umbauen.

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