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„Es gibt keinen Trend zum Konservativen“

■  Der Sozialwissenschaftler Arthur Fischer, seit 1981 Mitarbeiter der Shell-Jugendstudie, widerspricht dem Eindruck, die CDU habe sich zur Partei der Jugend entwickelt – sie kann ihre Anhänger nur besser mobilisieren. Das Problem der Grünen: Sie können nicht erklären, wofür sie eigentlich sind

taz: Die CDU räumt bei den Jungwählern ab. Schreiben Sie bereits die Shell-Jugendstudie um: Die CDU, die Partei der Zukunft?

Arthur Fischer: Wir brauchen nichts umzuschreiben, weil wir nie geschrieben haben, die Grünen oder die SPD wären die Parteien der Jugend. Schließlich ist die Jugend genauso differenziert zu betrachten wie die Erwachsenen. Es gibt keine Partei der Jugend.

Warum verweigert die Klientel der SPD und der Grünen die Gefolgschaft?

Die SPD liefert im Moment ein Erscheinungsbild, dass eigentlich kein Mensch weiss, woran er ist. Die Grünen haben ein strukturelles Problem. Sie werden weiterhin als Umweltpartei wahrgenommen.

Umwelt, so ist der aktuellen Shell-Studie zu entnehmen, spielt bei den Jugendlichen eine herausragende Bedeutung. Warum profitiert die Partei nicht davon?

Umweltschutz ist ein typisch postmaterieller Wert, der bei Jugendlichen nichts an Bedeutung verloren hat. Aber es haben sich andere Probleme nach vorne geschoben. Zum Beispiel die Angst vor Arbeitslosigkeit. Viele stellen sich die Frage, wie kann ich mein Leben in einer Gesellschaft einrichten, die nicht weiss, wie es mit ihr weitergeht. Es gibt einen Rückfall auf materielle Werte. Und in all diesen Bereichen haben die Grünen null Kompetenzen.

Wird die CDU damit zur dominierenden Partei unter den Jugendlichen?

Dieser falsche Eindruck kann nur entstehen, wenn wir betrachten, wie viel Prozent die einzelnen Parteien gewählt haben. Schauen wir uns die absoluten Zahlen an, dann gibt es keinen Trend zur CDU. Jungwähler, die unter anderen Bedingungen die SPD oder die Grünen gewählt hätten, gehen schlicht nicht mehr zur Wahl. Im Gegensatz zur Gruppe, die der CDU zuneigt. Das sorgt für den Eindruck höherer Popularität der CDU unter den Jungwählern.

Michel Friedman, Wahlhelfer des künftigen Ministerpräsidenten des Saarlands, Peter Müller, jubilierte am Wahlabend: Die leistungsorientierte, gebildete Jugend traue der CDU auf den Gebieten der Bildungs- und Zukunftspolitik einfach mehr zu.

An diesem Punkt hat er natürlich Recht. Die Gruppe der Jugendlichen, die der CDU zuneigen, ist überzeugt, dass sie mit der Modernisierung, dem technologischen Wandel, der Globalisierung sehr gut zurechtkommen wird.

Auch die Grünen haben moderne Superrealos wie Matthias Berninger und Cem Özdemir, die mit der Parole losziehen: Wir sind jung, wir sind wirtschaftsfreundlich, wir sind neoliberal. Denen müssten doch die zukunftsfreudigen Jungen hinterherlaufen.

Das ist doch nur ein kleiner Splitter im Erscheinungsbild der Grünen, die jetzt auch das Thema Generationengerechtigkeit betonen. Aber auch damit werden sie bei den Jungen auf absehbare Zeit wenig Lorbeeren ernten.

Leiden die Grünen unter einer Glaubwürdigkeitslücke?

Nein. Dass unsere Erwachsenengeneration ihren fröhlichen Lebenswandel auf Kosten künftiger Generationen gestaltet, dieses ist als Thema so bei den Jugendlichen noch gar nicht angekommen.

Gibt es nun einen Trend zu den Konservativen oder nicht?

Nein. Zum ersten Mal wurde diese Behauptung im Wendewahlkampf 1982 aufgestellt, als von der Wendejugend die Rede war, die angeblich dafür sorgte, dass die sozial-liberale Koalition durch Helmut Kohl abgelöst wurde. Die Rede von der konservativen Wende wird bis heute immer wieder neu aufgetischt.

Was macht die These vom konservativen Zeitenwechsel so beliebt?

Es macht sich für die Union immer gut, wenn sie behauptet: Die Jugend akzeptiert uns wieder. Das nährt die Hoffnung, dass man zukunftsgewandt und auf dem richtigen Weg seit. Wenn es heute überhaupt einen Trend gibt, dann den zum Unpolitischen in dem Sinne, dass man mit den klassischen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften nichts zu tun haben will.

In Brandenburg wählten elf Prozent der Erstwähler die DVU. Auch gestern in Thüringen waren es nicht wenige. Gibt es einen Rechtsdrall unter den Jungen?

Jein. Einen politischen Trend nach rechts sehe ich nicht. Aber es gibt einen Trend zu einer rechten Jugendkultur – vor allem im Osten. Diese vorpolitische Kultur neigt in ihrem Wahlverhalten natürlich zu rechten Parteien.

Aber nicht in größerem Ausmaß als in Bremerhaven.

Auch dort sind es überwiegend sozial deklassierte Unterschichtsjugendliche mit hohem Anteil von Arbeitslosen, die die DVU wählen. Die Arbeiterviertel in Bremerhaven sind durchaus mit Ostdeutschland zu vergleichen.

Was fängt dieser Kreis mit der Neuen Mitte an?

Wissen Sie, was das ist?

Nein. Ich hoffte, Sie sind klüger als ich.

Das bin ich leider nicht. Wir können nur hoffen, dass Schröder das weiß. In der neuen Shell-Studie, die im März 2000 erscheinen wird, beschäftigen wir uns ein wenig damit. Es deutet einiges darauf hin, dass Globalisierung, Mobilität und die Flexibilisierung des Lebenslaufes Anforderungen sind, denen sich die Jugendlichen durchaus stellen. Aber die Jugendlichen bekommen natürlich mit, dass es Gruppen gibt, die besser gerüstet sind, und welche, die schlechter gerüstet sind.

Wenn Jugendliche das Interesse an politischen Institutionen verlieren, müssen wir dann nicht das Ende der parlamentarischen Demokratie befürchten?

Wenn über fünfzig Prozent der Jugendlichen der Meinung sind, dass die Probleme, die sie haben, von den Politikern überhaupt nicht wahrgenommen und beachtet werden, ist das sehr bedenklich und berechtigt zu der Frage, wie repräsentativ unsere Demokratie überhaupt noch ist.

Wie müsste eine moderne, jugendorientierte Politik von Parteien aussehen?

Zukunftsorientiert. Die Botschaft müsste rüberkommen, dass zwischen den Generationen solidarisch Zukunftsprobleme angegangen werden. Bildungszugänge für Jugendliche sind zu erschließen, damit sie zukunftsfähig werden.

Können Sie den Grünen einen Rat geben, wie sie wieder attraktiv für die Jüngeren werden?

Das Problem der Grünen ist, dass viele Jugendliche sagen, ja, ihr seid eine wichtige Partei, aber im Augenblick habe ich wichtigere Probleme. Darüberhinaus sind die Grünen bei den Jugendlichen die Partei mit erhobenem Zeigefinger, die gegen Atomkraft, gegen Umweltzerstörung ist. Das wird von der Mehrheit der Jugendlichen auch geteilt. Als Jugendlicher ist man aber auch daran interessiert, wofür die Grünen sind, was ich in meinem Lebensalltag mit deren Programmatik anfangen kann. Wofür die Grünen sind, das kommt bei Jugendlichen nicht an.

Interview: Eberhard Seidel

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