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■ Warum verliert die SPD, obwohl sie immer nur das Beste wollte? Sind die Leute zu dumm, den Zweck des großen Ganzen zu erfassen? Oder sind es nur Vermittlungsprobleme? Die Wähler sind nicht mehr berechenbar. Weil die Politik es auch nicht ist. Ver-rückte ZeitenKein Gefühl für Schröder

Der Tipp von Finanzminister Hans Eichel kam nicht gut an bei der SPD-Betriebsgruppe des Metallunternehmens. Was soll denn die Witwe eines Kollegen tun, so hatte ihn einer gefragt, wenn sie nur 1.300 Mark Rente bekommt und die Miete auf 700 Mark geklettert ist? Die Frau brauche doch jede Mark. Der Finanzminister sann nach: Sie könne doch Wohngeld beantragen, meinte er. Bist du noch ganz dicht?, herrschte einer den Finanzminister an. Dafür müsste die Witwe zum Sozialamt!

Ein Politiker, der nur die eine oder andere Wohltat des Sozialstaats aus der Tasche ziehen und dort auch wieder verschwinden lassen kann, kommt nicht mehr rüber. Die WählerInnen fühlen sich nicht mehr angesprochen.

Die Verweigerung, die sich in niedriger Wahlbeteiligung gerade von SPD-Stammwählern zeigt, ist daher nicht mehr das Gleiche wie die Wahlverweigerung in den vergangenen Jahren. Die dramatischen Stimmenverluste der SPD bei den Wahlen in Thüringen und auch den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, die Einbrüche im Saarland und in Brandenburg einen Sonntag davor bergen ein Element der Irrationalität.

Warum verliert eine Partei so dramatisch an Stimmen, die doch nur das Beste wollte für ihre WählerInnen? Deren Sparvorhaben nicht nur von inländischen Kommentatoren, sondern auch vom Ausland als Schritt in die richtige Richtung hochgelobt wurden?

Am Geld allein kann es nicht liegen: Niedrigverdiener können sich seit Beginn des Jahres über einen gesunkenen Eingangssteuersatz freuen. Wer Kinder hat, bekommt je Sprössling 20 Mark mehr Kindergeld im Monat. Das Gesetz zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde wieder geändert, sodass jeder Erkrankte wieder das volle Gehalt bezieht. Die Dankbarkeit dafür blieb aus.

Die simple Gleichung: Wer Wohltaten verteilt, wird gewählt, stimmt nicht mehr. Der umgekehrte Satz: Wer kürzt, wird von den Betroffenen abgestraft, hält gleichfalls einer Nachprüfung nicht stand. Im Gegenteil: Viele Wähler treffen ver-rückte Entscheidungen.

Obwohl die Schröder-Regierung bei den Ruhestandsbezügen sparen will, blieben viele Rentner der SPD treu. Im Saarland und in Thüringen verlor die SPD besonders bei den Wählern im Alter von 18 bis 34 Jahren, bei den über 60-Jährigen liegt die SPD in Thüringen sogar noch vor der PDS. „Offenbar hat die Diskussion um die Rente die SPD nicht den Wahlsieg gekostet“, resümierte die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen zum Saarland.

In Thüringen und im Saarland verlor die SPD bei den Arbeitern, da half es auch nichts, auf gesunkene Eingangssteuersätze und höheres Kindergeld hinzuweisen. Wahlen sind eine Sache des Gefühls, nicht des Geldes.

Deswegen greift es auch zu kurz, der SPD Ungerechtigkeit in materiellen Dingen zu bescheinigen. Die Unternehmenssteuerreform belastet durchaus auch die Betriebe. Und eine Regierung, die heute die Erbschaftssteuer ändern und damit den Familienbesitz der Mittelschicht angreifen würde, bekäme kein Prozent mehr an Stimmen, so viel ist sicher.

Die WählerInnen sind nicht mehr berechenbar. Weil es die Politik auch nicht für sie ist.

Das Besondere am rot-grünen Regierungsstil waren weniger die Einsparungen, sondern der Auftritt, der von den Medien beobachte Balanceakt zwischen Sparzwängen und Interessengruppen: Das Hin und Her um die 630-Mark-Jobs, um die Scheinselbstständigkeit, die widersprüchlichen Rentenvorschläge, die Wiederholung alter Lügen.

Nur Könige, die ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, sind gute Könige in den Augen der Untertanen. Erst recht in unsicheren Zeiten, in denen jeder weiß, dass sich was ändern wird. Bundeskanzler Helmut Kohl hat das immer gewusst und geschickt schon zu Beginn seiner Amtszeit das Image des Langweilers in das Image des Stabilisators umgewandelt.

Dass die CDU als die wirtschaftspolitisch fähigere Partei gilt, wie sich jetzt wieder in Thüringen erwies, ist eine traditionelle Wahrnehmung der Wähler. Aber entscheidender ist: Auch „Zukunftskompetenz“ trauen gerade die jüngeren Wähler der SPD nicht mehr zu, resümierten die Wahlforscher von Infratest dimap. Für diese Jüngeren zählt die Milieubindung zu einer Partei kaum noch.

Für diese Jüngeren strahlt die SPD zu wenig „Zukunftskompetenz“ aus, obwohl SPD-Finanzminister Eichel mit seinem Sparpaket genau diese Kompetenz herüberbringen wollte. Aber es geht eben nicht ums Geld, sondern ums Gefühl. Bundeskanzler Schröder ist keine Figur, die glaubhaft integriert. Dass es Schröder nicht gelungen ist, den Wählern die Angst vor der Zukunft zu nehmen, ist sein bisheriges Versagen. Da nützt auch der Tipp des Finanzministers an eine Witwe nicht, sie möge doch Wohngeld beantragen. Das steht übrigens auch auf der Kürzungsliste.

Barbara Dribbusch, Berlin

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