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Arbeiter und Punks, Kleinbürger und Hooligans: Das Willy-Brandt-Haus und die Galerie imago zeigen Alltagsfotografien aus der DDR. Revolutionäre Begeisterung ist nicht zu sehen  ■   Von Ingrid Beerbaum

Irgendwie stellt man sich DDR-Fotos immer schwarzweiß vor. Weil das Leben eh so grau war, dass Farbfilme eine Verschwendung gewesen wären? Tatsächlich waren zu DDR-Zeiten schwarzweiße Fotos einfach billiger als farbige, und darum gibt es eben mehr davon.

Da zehn Jahre Mauerfall und fünfzigster Jahrestag der DDR unaufhaltsam nahen, werden derzeit die Foto-Archive eifrig geplündert. Eine große und eine kleine Ausstellung sind zur Zeit in Berlin zu sehen: „Thomas Hoepker – Aus alten Zeiten. Fotografie, DDR 1974 – 76“, in der Galerie imago, und „Deutschlandbilder II“ im Willy-Brandt-Haus.

Mitte der Siebzigerjahre konnten Thomas Hoepker und seine Frau als Stern-Korrespondenten relativ unbehelligt zwischen Ost- und Westdeutschland pendeln. Die meisten in der Galerie imago gezeigten Fotos sind auf Ausflügen oder Streifzügen in Berlin entstanden – darunter übrigens auch farbige Aufnahmen. Nur: Waren die Fahnen wirklich so knallig rot und blau? Oder ist die eigene Erinnerung dem Klischee schon aufgesessen? Da sind zum Beispiel die Massenaufmärsche am Treptower Ehrenmal: Noch im Dunkeln leuchten die Fackeln intensiv. Fast könnte man sich gefangen nehmen lassen von der Erhabenheit der Szene .

Die Schwarzweißfotos zeigen dagegen Individuen, DDR-Intellektuelle oder einen kinderwagenschiebenden NVA-Soldaten. Die meisten sehen eher in sich gekehrt aus oder blicken desillusioniert in die Kamera. Trotzdem wird gerade durch den Blick von außen das am eigenen Land Gehasste oder Unbeachtete ästhetisiert. Das Hässliche wird schön, auch in einer Straßenszene aus dem Prenzlauer Berg: Eine jüngere und eine ältere Frau laufen mit einem kleinen Jungen nebeneinander, in nachmittägliches Winterlicht getaucht, eine leicht abschüssige Straße entlang. Die sie umgebenden Häuser sind von typisch graubrauner Farbe und nur Kulisse für dieses beinahe schon altmeisterliche Familienbild ohne Vater: eine Idylle.

„Deutschlandbilder II“ im Willy-Brandt-Haus ist wesentlich größer angelegt. Auf drei Etagen ist die Crème der DDR-Fotografie versammelt: Kurt Buchwald, Helga Paris, Roger Melis, Harald Hauswald und Uwe Steinberg. Eine riesige Materialfülle ausschließlich in Schwarzweiß. Beinahe zu viel schon.

Den Anfang macht Albert Henning mit Fotos aus den späten 20er-und frühen 30er-Jahren. Fotos aus den Armenbezirken seiner Heimatstadt Leipzig. Nach dem Krieg und der kulturpolitischen Entscheidung für den Bitterfelder Weg konnte Henning lange nicht als Fotograf arbeiten, erst im Rentenalter wieder. So sind die Bilder eine späte Wertschätzung. Und man wollte wahrscheinlich eine Brücke schaffen zwischen der Arbeiterfotografie der Vorkriegszeit und den ausgestellten DDR-Fotografen. Leider klappt das nicht richtig, denn in der Chronologie fehlen etliche Jahre. Uwe Steinberg stammt wie Henning aus Leipzig. „Deutschlandbilder II“ zeigt unter anderem seine Zufallsporträts von Menschen am 1. Mai 1963: In sich gekehrte Momentaufnahmen von sozialistischen Menschen, die an ihrem Arbeiterkampftag alles andere als revolutionäre Begeisterung ausstrahlen. Eine junge Frau hält drei Bockwürstchen wie einen Schatz in der Hand und schaut erwartungsvoll irgendwo hin: Kleinbürgerliche Idyllen herrschen vor, auch im Arbeiter-und-Bauern-Staat.

Helga Paris zeigt ihre Serie mit Porträts von Jugendlichen aus dem Jahr 1982. Alles keine frohen, optimistischen DDR-Jugendlichen, sondern Punks, die mit ihrem Aussehen missliebig für den Staat geworden waren. Von Roger Melis gibt es viele bekannte Fotos zu sehen. Fotos von Arbeitern in Betrieben, aber auch Menschen bei der Ausübung exotischer Berufe wie Seifensieder oder Kupferschmied aus den Achtzigerjahren: Alltagspoesie.

Von Harald Hauswald werden die bekannten Momentaufnahmen aus der U-Bahn oder die Fotos von Konzertpublikum gezeigt: Die FDJ-Ordnungkräfte oder die Punks bei halb illegalen Konzerten in Kirchen. Oder Bilder von Nazis und Hooligans aus Magdeburg.

Eine Rarität dagegen sind die Videoaufnahmen des Amerikaners Bill Meyer, der als einer der wenigen ausländischen Journalisten die Genehmigung für Interviews mit „ganz normalen DDR-Bürgern“ erhielt.

Beide Ausstellungen, die „Deutschlandbilder II“ und „Aus alten Zeiten“, zeigen den Alltag und die Menschen einer untergegangenen Ära. Nostalgisch sind sie darum allerdings nicht.

„Thomas Hoepker – Aus alten Zeiten“, Galerie imago, Sophienstr. 32, Di – Fr 12 – 19 Uhr, Sa 14 – 18 Uhr, noch bis 7. Nov. „Deutschlandbilder II“, Willy-Brandt-Haus, Stresemann- str. 28, Di – Fr 11 – 18 Uhr, Sa 11 – 13 Uhr