: Die Oberfläche ist diskurstauglich
■ Auf der Leinwand geht wieder alles: Die INIT-Kunsthalle zeigt fünfzigmal „Malerei“
Zuletzt war man nur noch zum Trinken dort. Denn während Künstler und Clubbetreiber Daniel Pflumm mit seiner INIT-Bar bis auf die Berlinseiten der FAZ vorgedrungen ist, hatte man von der angeschlossenen Kunsthalle nichts mehr gehört, seit im letzten Herbst eine Retrospektive der New Yorkerin Martha Rosler zu sehen war. Doch wie sagte Alexander Schröder, Galerist von Neu und Mitvorstand der INIT-Kunsthalle, in der gleichen FAZ-Ausgabe so schön: „Topgrundstück. Wäre töricht, das so stehen zu lassen.“
Also hat er gemeinsam mit Berliner und Kölner Galeristen eine Ausstellung über Malerei zusammengestellt. Immerhin gibt es nach all den Jahren der Kontextkunst, der Videoschleifen und Konzept-Parties einen Run auf Leinwände. Vor wenigen Wochen waren erst im Neuen Berliner Kunstverein drei junge Maler aus Dresden von Christoph Tannert als Kurator ins Rennen geschickt worden, um zu beweisen, dass progressives Malen heute eine „eiserne Ration Schlichtheit“ braucht. Zwischen lauter Landschaftsbildern, Porträts und abstrakten Allovers fand die Revolution dann im Kunstverein aber doch nicht statt.
Auch die 50 Künstlerinnen und Künstler, die jetzt von INIT für „Malerei“ ausgewählt wurden, sind nicht gerade ein Beleg für Fortschritt. Die Ausstellung ist eher schon ein Abbild davon, was sich in den letzten zehn Jahren an neuen Namen auf dem Markt durchgesetzt hat – Albert Oehlen, Martin Kippenberger und Jutta Koether als prominente deutsche Eckpfeiler inklusive. Mit Christopher Wool, Elizabeth Peyton und Gary Hume wird zudem der angloamerikanische Stand der Dinge recht gut dargelegt.
Stilvoll bewegt sich die Malerei der 90er-Jahre zwischen Abstraktion und Entertainment, arbeitet sich mal an Gerhard Richters strengen Grauphasen oder dem leuchtend triumphierenden Matisse-Blau ab. Daneben sind Comiczitate oder schlicht gepünktelte Oberflächen ebenso diskurstauglich wie kleine Pin-Up-Girls und die glamourösen Pop-Porträts der young british art. Chris Ofili, Neo Rauch, alles geht, auch auf der Leinwand. Aber was geht noch?
Zum Beispiel Gunter Reskis „Heimweg“. Mit geometrisch ineinander geschobenen Formen nimmt er sich ein Gedicht von Ingeborg Bachmann aus dem Jahr 1956 vor und transformiert den Text in rechteckig verhakte Farbblöcke, aus denen Sätze hervorstechen wie „folgt er mir schon lange?“ oder „habe ich wen gekränkt?“ Tatsächlich funktioniert diese Art Bachmann-Exegese malerisch analog zum Charakter des Textes, spröde und privat zugleich.
Anders Matthew Antezzo. Sein Porträt mit dem Titel „René Block after Klaus Bruch, Ein Dutzend Kunsthändler extra / Magers, N.D.“ hält zwar akribisch fest, wer wo was wann im Kunstbetrieb verkörpert hat. Nur warum Block auf dem Bild von Antezzo gerade mit herausgestreckter Zunge festgehalten wurde, erfährt man nicht. Deshalb wirkt der rebellische Gestus des Ex-Galeristen ein wenig konstruiert, wie ein Wunsch nach mehr Spaß im Alltag zwischen Kunstmesse, Galerie, Ausstellung und Atelier.
So wandert man die ehemalige Kaufhalle Wand für Wand ab und denkt doch eher an Museum. Überhaupt wirkt die neueste Malerei in der Masse nicht programmatisch, sondern extrem dogmatisch – Zwischenformen von den Bildstrecken-Environments eines Kai Althoff bis zur gemalten Theorie à la Thomas Locher sind offenbar ausgeschlossen.
Am Ende freut man sich dann über Thilo Heinzmann, dessen weiß betünchte, an den Rändern abgefressene Pressspanplatte als schroffes Statement endlich auch einmal am Bildträger physisch greifbar wird. Der Rest hängt flach an der Wand und gibt allen die Hand, die sich vorher schon kannten. Willkommen im Club. Harald Fricke
Bis 31.10., Di. bis So. 12 bis 18; Fr./Sa. 12 bis 20 Uhr; INIT-Kunsthalle, Chausseestraße 119/120
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