: „Eine Kontrolle des Verfassungsschutzes findet nicht statt“
■ Im Zusammenhang mit der Scientology-Affäre bei der Polizei kritisiert die Opposition die Informationspraxis von Innensenator Eckart Werthebach: Grüne kündigen Klage vor dem Verwaltungsgericht an
In der Affäre um den fälschlich als Mitglied der Scientology-Sekte enttarnten Polizeidirektor Otto Dreksler hat gestern der ehemalige V-Mann Adolf P. vor dem Verfassungsschutz-Ausschuss schwere Vorwürfe erhoben. Der heute 77-jährige Rentner, den das Amt unter dem Decknamen „Junior“ geführt hatte, sagte gestern unter Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht im Anschluss an seine Vernehmung, er habe Dreksler nie explizit belastet. Die Beschuldigungen, die im März 1998 zur Beurlaubung des Polizisten geführt hatten, sollen nach seiner Darstellung ausschließlich auf mündliche Informationen des V-Mannes zurückgehen.
Gegenüber seinem Vorgesetzten im Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) habe er lediglich geäußert, es sei möglich, dass er Dreksler bei einem Treffen der umstrittenen Organisation gesehen habe. P. äußerte die Vermutung, er sei benutzt worden, um Dreksler beruflich zu schaden. Dem Amt sei vom ersten Tag an bekannt gewesen, dass er zuvor jahrzehntelang für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR gearbeitet habe. Weder der Verfassungsschutzchef Eduard Vermander noch Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) hätten seine Behauptungen im Ausschuss dementiert.
Grüne und PDS kritisierten, der Verfassungsschutz hätte niemals mit Adolf P. zusammenarbeiten dürfen. Seine Aussage sei „diffus“ gewesen und stimmten mit der Aktenlage nicht überein, bilanzierte die grüne Fraktionsvorsitzende Renate Künast die Anhörung. Der PDS-Abgeordnete Gernot Klemm, dessen Fraktion die Anhörung beantragt hatte, sagte, die Vernehmung lasse Rückschlüsse auf die fragwürdige Arbeitsweise des Amtes zu. P. sei „zur Verwechslung geschoben worden“.
Die Vertreter von SPD, Grünen und PDS hatten auf der Anhörung bestanden, weil Innensenator Eckart Werthebach dem Kontrollgremium die Einsicht in die betreffenden Akten bisher verweigert. Werthebach kritisierte die Anhörung des V-Mannes als „großen Schaden für die Sicherheit des Landes und das Ansehen des Amtes“. Durch die Anhörung könnten andere Nachrichtendienste künftig die Kooperation mit dem LfV verweigern. Es sei allerdings ein „gravierender Fehler“ gewesen, auf Grund eines anonymen Schreibens tätig zu werden.
Die Oppositionsparteien sowie die SPD kritisierten in dem Ausschuss die Informationspraxis des Innensenators. Dieser habe den Ausschuss „systematisch im Dunkeln gelassen“, monierte die SPD-Abgeordnete Kirsten Flesch. Das Vertuschen von Vorgängen und das Zerreißen von Akten spreche nicht gerade für eine vertrauenswürdige Arbeit des Amtes. Renate Künast sagte: „Eine parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes findet in Berlin nicht statt.“ Sie kündigte rechtliche Schritte vor dem Verwaltungsgericht gegen die „systematische Verweigerung der Akteneinsicht“ an. Werthebach bot gestern lediglich an, Passagen aus den Akten mündlich vorzutragen.
Der inzwischen rehabilitierte Polizeidirektor Dreksler hat ebenfalls Klage gegen das Land Berlin eingereicht. Er fordert mindestens 50.000 Mark Schmerzensgeld sowie weitere 17.000 Mark Schadensersatz. Ingeborg Dreksler, die gestern an der Sitzung des Ausschusses teilnahm, kündigte anschließend ihren sofortigen Austritt aus der CDU an. Bis heute habe sich keiner der politisch Verantwortlichen bei ihrem Mann entschuldigt. Andreas Spannbauer
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