Schildbürgerstreich am Stadtwerder

■ Bebauung oder Naherholung mit Wassergewinnung: Was wird aus dem Stadtwerder? Ein Interview mit dem Präsidenten der Architektenkammer, Wilfried Turk

Ein kleiner Satz im Koalitionspapier entscheidet über die Zukunft des Stadtwerders. „Hochwertige Bebauung“ mit Mischnutzung strebt die Koalition an. Diese und vergangene Woche organisierte erst die CDU, dann die PDS, ein Streitgespräch mit Sönke Hofmann vom Naturschutzbund (NABU), der ein Naherholungsgebiet für die 70.000 NeustädterInnen mit Wasserspielplatz fordert. Viele Neustädter fürchten zunehmenden Verkehr und unnötige Villen für wenige, statt Grünflächen für alle. Die taz sprach jetzt mit Wilfried Turk, dem Präsidenten der Architektenkammer, über den Sinn und Nutzen von Villen auf dem Stadtwerder bei zugleich leerstehendem Neubau-Wohnraum in Bremen.

taz: Die Preise für exklusives Eigentum sind in Bremen in den letzten Jahren gesunken. Exklusive Wohnlagen wie der Teerhof oder der Weidedamm sind nicht einfach zu vermarkten (s.a. Artikel rechts, d. Red.) Gibt es vor diesem Hintergrund überhaupt Nachfrage für Wohnungen auf dem Stadtwerder?

Wilfried Turk: Bei einem so exquisiten Standort wie dem Stadtwerder kann man davon ausgehen, dass unabhängig vom Bedarf eine Nachfrage nach Luxuswohnungen in excellenter Lage da ist. So dass ein gewisses Angebot auf jeden Fall abgesetzt werden kann.

Wo kommen die Interessenten für Stadtwerder-Villen her, und wer ist das?

Das sind einmal sehr gut betuchte jüngere Leute, die nicht im Grünen wohnen wollen, sondern hier in der Stadt; und gut betuchte ältere Leute, die vom Grünen die Nase voll haben, weil ihnen die Wege zu weit werden und die ihr Einfamilienhaus am Stadtrand mit einer sehr gut und ruhig gelegenen Wohnung in der Nähe der Innenstadt tauschen wollen.

Die bisher geplante Mischnutzung soll nur Ärzten und Juristen die Niederlassung gestatten.

Eben besser betuchte Dienstleister, mit möglichst wenig Verkehrsaufkommen, weil sonst das Problem der Stellplatzflächen wieder da ist. Wenn man sich das als allgemeines Wohngebiet vorstellt, dann wäre allenfalls eine Mischnutzung denkbar, die mehr in diese freiberufliche, nicht störende Richtung geht.

Also keine Kneipen und Cafés?

Keine Kneipen. Kein Café. Sondern eben wirklich nur solche beratenden Berufe und Kreise.

Das klingt nach Schlafstadt wie auf dem Teerhof. Kann man das nicht vermeiden?

Dann sollte man es gar nicht erst bebauen. In dem Moment wo ich nur zehn Hektar habe, und es sich vom Standort her verbietet, Läden anzusiedeln, bleiben von der Terminologie her nur „Schlafstadteigenschaften“ übrig.

Die Anwohner fürchten eine Verkehrszunahme: Bei vielleicht 400 hochwertigen Wohneinheiten mindestens 800 Autos mehr.

Damit muss man rechnen. Auf der anderen Seite muss man relativieren: Wann fahren die und wie oft fahren die? Was die reine Verkehrsbelastung angeht, bringen alleine die Schrebergärten am Wochenende und die Hochschule schon eine ganze Menge mehr Verkehr. Das würde ich nicht als entscheidenden Faktor sehen.

Die Option auf Trinkwassergewinnung aus der Weser würde mit der Bebauung aufgegeben.

Den Gedanken der Wassergewinnung sollte man nicht außer Acht lassen. Es ist ein Schildbürgerstreich, wenn man eine vorhandene, dafür geeignete Fläche, nolens-volens Preis gibt für eine Bebauung, die man nachher nicht wieder wegkriegt.

Die Neustädter hätten gerne mehr Erholungsgebiete.

Das halte ich für ausgesprochen vernünftig. Denn die Naherho-lungsflächen städtischer Art sind alle angesiedelt im Stadtwerder und in der Pauliner Marsch. Und wenn Bremen eine sehr hohe Wohn- und Lebensqualität hat, dann nicht zuletzt wegen dieser Naherholungsflächen, die mitten in der Stadt liegen. Das heißt in dem Moment, in dem ich diese Flächen für Wohnraum nutze, baue ich mir damit ein Stück Disqualität für die gesamte Stadt ein, worunter die gesamte Wohnqualität in Bremen nur wahnsinnig leiden kann.

Kann man sich das leisten? Mit dem Grundstücksverkauf können die Stadtwerke gut verdienen.

Bremen muss sich das leisten. Denn wenn wir mit anderen Städten wettbewerbsfähig bleiben wollen, dann brauchen wir genau diese innerstädtischen Qualitäten. Zu Gunsten der weichen Standortfaktoren gehört jede Bebauung im Stadtwerder verboten, um dieses Qualitätspotential zu erhalten.

Außerdem weiß man nicht, wie viel die Stadtwerke wirklich verdienen. Wieviel Geld erst Mal investiert werden muss, um den Stadtwerder baureif zu machen. In diesem Gelände liegen meines Wissens alle zentralen Verteilungsleitungen der Wasserversorgung Bremens, die rausgeholt werden müssten. Die gesamten Becken müssen entsorgt werden ... Ein nicht unerheblicher Aufwand.

Vom Geld wird also nicht viel über bleiben.

Davon gehe ich mal aus. Es sei denn, man macht nur hochverdichtet und Schicki-Micki, um so die Grundstücke zu überzogenen Preisen wegdrücken zu können.

Wie ist das in anderen Städten?

Nach dem was ich an Stadtentwicklung kenne, gehen andere Städte wesentlich schonender mit ihren freien innerstädtischen Grünflächen um, weil man den Wert eben doch anders einschätzt als es hier der Fall ist.

Wieviel Wohnraum könnte auf dem Stadtwerder entstehen? Die Zahlen schwanken zwischen 50 und 500 Wohneinheiten.

Ich würde mal sagen, mehr als 500 Wohneinheiten sind realistisch, wenn ein lohnender Profit hinten rauskommen soll, und wenn Infrastrukturkosten abgedeckt werden sollen für Erschließung und Grundstücksaufbereitung, und man diese Kosten auf möglichst viele Wohnungen verteilen muss.

Das klingt schon wieder nach Teerhof.

Es müsste dann eigentlich wieder verdichtet werden. Aber dann wird es natürlich wieder unattraktiver.

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