Martini sucht Nebel

■ Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs: „T-Error“ von Alexej Schipenko und dem Jugendtheater Gaukelstuhl in der Inszenierung von Jarreth Merz im JUKS

Am Anfang ein Casting: Vier junge Leute schaffen den Sprung und werden Schauspieler in einer Soap-Opera. Die Gage ist gewaltig: sieben Millionen Dollar – die Aufgabe auf keinen Fall alltäglich: mit dem Raumschiff Planquadrat C 4 werden sie ins Weltall geschossen, und von dort wird nun 12 Stunden täglich live zur Erde übertragen. Wenn die Sirene heult und die roten Lichter an den Raumanzügen blinken, gehen die Scheinwerfer an. Die Kameras laufen, und aus Karla, Martini, Simon und Nadine werden Jane, Jack, Bob und Mary. Die Texte sind Trash und die Darstellung ziemlich übertrieben.

Kaum sind dann die Lichter aus, beginnt das richtige Leben, das trotzdem noch lange kein gewöhnliches ist. Martini (Lars Wild) sucht grüne Nebel im All, von denen er sich irgendeine Erlösung erhofft. Simon (Martin Zeijlmans van Emmichoven) ist ein Mörder auf der Flucht und will auf dem Mond siedeln, um seinen Verfolgern zu entkommen. Nadine (Katharina Schlaak) ist gar kein Mensch, sondern sieht bloß wie einer aus. Sie ist perfekt programmiert und weiß trotzdem, dass es nichts Schöneres gibt, als so ein unvollkommenes Wesen namens Mensch zu sein. Und Karla (Claudia Maria Franck) wäre gerne so perfekt und cool wie die künstliche Nadine. Das Leben an Bord ist naturgemäß ziemlich stressig. Das fängt schon mit den Sauggeräten an, die wegen der Schwerelosigkeit statt simpler Toiletten nötig sind. Auch die Astronautennahrung ist ziemlich ungenießbar.

Die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Besatzung sind einigermaßen verwirrend und die darstellerische Herausforderung in der Show auch nicht eben befriedigend. Licht an, Kamera läuft – Licht aus, Leben läuft weiter: So könnte es trotzdem immer weitergehen, in dem Stück für Menschen ab 13, das Alexej Schipenko zusammen mit dem Jugendtheater Gaukelstuhl entwickelt hat.

Aber dann kommt alles anders. Inszeniert hat Jarreth Merz vom New Yorker „German Theatre Abroad“. Spielort ist eine alte Schulaula am Senefelder Platz, die vom „JUKS“, einem Kinder- und Jugendzentrum genutzt wird. Der ganze Schulkomplex sieht nicht nach übertriebener Zuwendung der öffentlichen Hand aus. Als hier zuletzt Maler und Handwerker gesehen wurden, hat in Berlin wahrscheinlich noch Walter Ulbricht regiert.

Auf die Aulabühne hat Thomas Schenk nun ein Raumschiff gebaut, das mehr nach Schrottplatz als nach gelackter Hightech aussieht. Lampen, Schläuche, Kabelsalat, alles mindestens so desolat wie die Besatzung selbst: Leute am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und als Simon nach einem Selbstmordversuch nicht pünktlich vor der Kamera auftaucht, wird klar, dass sie alle Opfer einer Verschwörung des Soap-Produzenten auf der Erde sind: die Truman-Show lässt grüßen.

Das Raumschiff rast ins Nichts, die Kamera läuft und läuft. Ein Entkommen ist unmöglich, die Rückkehr auf die Erde auch. Die vier kappen alle Kabel. „Der grüne Nebel wird uns finden“, sagt Martini. Dann geht das Licht aus.

Esther Slevogt

Theater Gaukelstuhl im JUKS, Schönhauser Allee 165, Prenzlauer Berg, bis 23. Dezember 1999