: Bürger gegen Liebestrampel
■ Eine Bürgerinitiative engagiert sich gegen eine weitere Love Parade im Tiergarten. Sie wehrt sich gegen ökologische Schäden, Krach und Kot
Eine ganze Reihe Büsche haben die diesjährige Love-Parade nicht überlebt; eine Buche brach unter der Last der Raver auseinander und musste gefällt werden.Wo früher Wildkräuter und Efeu wuchsen, liegt der Boden blank. Der Blick des Spaziergängers bleibt nicht mehr im Unterholz hängen, sondern kann an vielen Stellen direkt zur Straße des Straße des 17. Juni durchwandern.
„Der optische Filter“, der Erholungssuchenden im Park ein Gefühl der Geborgenheit vermittelte, ist an vielen Stellen zerstört, konstatiert Tiergartens Baustadtrat Horst Porath (SPD). Ein Wiederaufforsten sei nicht möglich, weil Sträucher und Bäume seit 1949 in enger Symbiose aufgewachsen seien und es für junge Büsche am Boden heute zu dunkel sei. „Hier ist ein Dauerschaden entstanden“, so Porath.
Vor kurzem hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die dem Tiergarten eine weitere Love Parade im Jahr 2000 ersparen will. „Wenn man die Verwüstungen sieht, wird man ganz traurig“, sagt die Initiatorin Margarethe Pape. „Wir wollen die Tiere und Pflanzen vor Frevel und Überlastung schützen.“
Etwa 60 Leute nahmen an der Gründungsveranstaltung teil und beschlossen, als erstes eine Unterschriftensammlung zu starten. Schon einige tausend Leute hätten ihre Unterstützung bekundet, so Pape. Damit solle Druck ausgeübt werden auf die nächste Versammlung des Runden Tisches zum Thema Love Parade, zu dem Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) für November eingeladen hat. Dort soll auch eine Arbeitsgruppe unter Federführung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihre Vorschläge vorlegen, die sich mit Alternativrouten beschäftigt. Im Gespräch ist unter anderem der Tempelhofer Flughafen.
Doch Branoner stellte nach der ersten Versammlung im August bereits unmissverständlich klar, wo die oberste Priorität für ihn liegt: „Dass die Love Parade auch im nächsten Jahr in Berlin stattfinden soll.“ Die „in der Welt einzigartige Freiluftveranstaltung“ sei schließlich durch einen Kaufkraftzufluss von 300 Millionen Mark unbestritten von Vorteil für Berlin.
Das Bezirksamt Tiergarten betont dagegen die wachsenden materiellen und immateriellen Kosten der Massenveranstaltung. Allein die Reinigung und Wiederherstellung der Liegewiesen schlage mit fast 180.000 Mark zu Buche. Hunderte von Autos hätten im Tiergarten geparkt, überall lagen Müll, Kot und Scherben herum. Die Schmuckanlage am großen Stern mußte klompett erneuert, herausgerissene Poller und Zäune an vielen Stellen ersetzt werden. Porath errechnete einen Gesamtschaden in Höhe von über 330.000 Mark allein in diesem Jahr.
Auch Pater Marianus von der St. Ansgar-Gemeinde plädiert für einen anderen Veranstaltungsort. „Hier leben viele alte Leute. Es ist grausam, weil sie dem Krach nicht entfliehen können.“ Außerdem sei da noch die Sache mit den fehlenden Toiletten. Neben der Kirche an der Altonaer Straße steht eine kleine Mauer. Dahinter blühen Blumen und ein großer Baum spendet auch im Sommer kühlen Schatten – eine kleine Oase. Nach der Love Parade hatte sich das Gärtchen in eine Kloake verwandelt – die Mauer bietet guten Sichtschutz für Menschen, die mal müssen. „Ich habe nichts gegen die Love Parade und dass sich junge Menschen versammeln wollen“, stellt Pater Marianus klar. Doch der Mangel an Toiletten sei nicht hinnehmbar.
Auch in anderen Hauseingängen sahen sich Anwohner am Tag nach der Parade mit einer stinkenden Hinterlassenschaft konfrontiert. Und der Naturschutzbund warnt, dass der Sauerstoffgehalt der Gewässer im Tiergarten durch hunderttausende von Litern Urin und Tonnen von Kot weiter absinke. „Für Fische, Libellen- und Käferlarven können damit kritische Werte erreicht werden. Die zusätzliche Belastung durch den Eintrag verunreinigten Wassers infolge einer Massenveranstaltung wie der Love Parade sollte unbedingt vermieden werden,“ heißt es in einer Presseerklärung.
Die Kosten der Love Parade tragen Tiere, Pflanzen und die Allgemeinheit. Nach wie vor gilt die Love Parade als politische Demonstration. Und das solle auch so bleiben, verlautete bereits aus dem Hause des Wirtschaftssenators. Annette Jensen
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