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Überraschung ■ Studentendorf wurde zum Wahlkampfthema
Es gibt es also doch noch: das überraschende Moment in der Berliner Politik. Lange Zeit haben wir darauf warten müssen, und wenn, dann waren es keine Politiker, die sich einmal anders entschieden haben als erwartet, sondern Richter wie bei der Flughafenentscheidung am Oberlandesgericht in Brandenburg.
Und nun das: Auf Wirken von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder sollen große Teile des Studentendorfs Schlachtensee als Denkmal erhalten bleiben. Der faule Kompromiss – Abriss als Mittel zur Finanzierung der Berlinischen Galerie – wurde auf den Druck der Studenten hin fallen gelassen und fast scheint es, als hätte die Politik einmal wieder über den Pragmatismus gesiegt, jenes Markenzeichen der Großen Koalition, das eine Senatssitzung so spannend macht wie einen Gernsehabend des SFB.
Aber auch nur fast. Wäre da nicht der Wahlkampf. Warum, so muss man fragen, ist Strieder die Sache mit dem Denkmalschutz nicht schon eher eingefallen? Und warum ist ausgerechnet das Studentendorf erhaltenswert, während andere Baudenmäler im Handumdrehen dem Drängen der Investoren geopfert werden? Nein, um Investoreninteressen und Denkmalschutz ging es hier nicht, eher schon um die Vermeidung weiterer negativer Schlagzeilen. Schliesslich macht sich der Abriss von 1.000 Wohnungen nicht gut für eine SPD, die sich auf ihren Plakaten nicht nur um den Potsdamer Platz sorgt, sondern ebenso um Platz der Wähler.
So geschickt Strieders Wahlkampf-Coup auch sein mag, so viele Gefahren birgt er freilich in sich. Zwar hat Kultursenator Radunski nun den schwarzen Peter zurückbekommen. Was aber, wenn die Investoren ihre Drohung wahr machen? Was, wenn aus dem dem Retter des Studentendorfs plötzlich ein Kulturkiller würde?
Im Grund verweisen diese Fragen nur auf eines: So überraschend die gestrige Entscheidung auch war, so wenig hat sie tatsächlich mit der Politik zu tun. Politik wäre es gewesen, rechtzeitig und ernsthaft nach Ersatzstandorten zu suchen. So aber war der Coup eine bloße Wahlkampfüberraschung, der nach dem 10. Oktober wieder der vorhersehbare Alltag folgen wird. Uwe Rada
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