Schlagloch: Das Herz schlägt link
■ Von Friedrich Küppersbusch
„Aber eines ist für mich jedenfalls klar: Wo deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg gewütet haben, darf es keine Einsätze ge- ben ... Ich wäre froh, wenn die, die das wollen, sich wenigstens nicht andauernd hinter der Humanität verstecken würden, um eben diese Position durchzusetzen.“ Joschka Fischer in der taz vom 30. 12. 1994
Für Rotation, Frauenquote, Trennung von Amt und Mandat, Atomausstieg und überhaupt einen neuen Politikstil ist Fischer zeitweise auch schon eingetreten. Mit ähnlich verheerender Wirkung wie beim Pazifismus.
„Kohl hätte Kosovo nicht gemacht“, raunen Unionspolitiker heute grinsend; der letzte Kanzler der Flakhelfer-Generation trug das Kriegskindertrauma in sich. Und hätte sich der machtvollen Opposition des Traditionspazi-fisten Fischer gegenüber gese-hen.
„Die PDS mit Regierungsveranwortung entzaubern“ will die SPD im Osten. Bei den Grünen hat das schließlich prima geklappt. Eben dachten wir noch, das kleinere Übel gewählt zu haben. Das kleinere Üben.
Schon ahnt man: Es war das größere Dilettieren. Eine nachträgliche Kosovo-Debatte gäbe den Grünen Glaubwürdigkeit in Maßen zurück. Um den Preis, dass man das Versagen beim Verhandeln herauspräparieren müsste. Eine Kosovo-Debatte wäre eine über Fischers Fehler. Sie wird nicht kommen.
Form follows function: Und so sahen sie ja auch aus, die Grünen der früheren Jahre. Funktion: Öffnen des Parlamentarismus für Bevölkerungsgruppen, die ihm misstrauten. Form: offen für alle, denen misstraut wurde. Durchgedrehte Landwirte, sektiererische Christdemokraten, K-Gruppisten, friedliche Offiziere, unerbittliche Gegner neuzeitlicher Frisurgestaltung. Abwesenheit vorgegebener Hierarchie.
Bizarr genug, gebar diese grüne Ursuppe eine einzigartige Erfolgsstory. Unternehmerisch ausgedrückt – damit es auch der wirtschafts- und sozialpolitische Flügel der Grünen versteht also – hat die tränenreiche Chaotentruppe einen Oligopol-Markt geknackt. Wo andere Parteien Ideen und Initiativen zu Tode verwalteten, bis zur Unkenntlichkeit diskutierten – feuerte der disziplinlose Haufen aus allen Rohren.
Sinn, Unsinn, Blödsinn, jedenfalls immer ne Handbreit über 5 Prozent der Wahrnehmung. Und marktorientiert: Nach Friedens-, Frauen- und Umweltpolitik bestand ein erdrückender Nachfrageüberhang. Die Grünen entwickelten ein politisches Produkt, dessen Erfolg in seiner Einfachheit lag: „Nein.“ Zu Atom, Krieg, Patriarchat, Raubbau, zu sonst noch was, jedenfalls: Nein.
Da muss man mal drauf kommen. Empört, wütend, kalt erwischt und stümperhaft plagiierend stürzte sich die Konkurrenz auf den Billiganbieter. „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ und ähnliche Placebos überschwemmten den Markt. Mit Quoten, Rotation und Psycho-koller schlossen die Grünen den Kreis: eine Form außerhalb des eingefahrenen Politbetriebes für eine Funktion beiderseits, also inner- und außerhalb desselben. Eine „corporate identity“.
Zwanzig Jahre später fordert Fischer eine Form, die funktioniert. Am Samstag vor der Sachsenwahl fährt die ganze grüne Familie ins total unmögliche Pöbelhaus: „Gunda“, feministisches Beistelltischchen, Design: Knut und Marianne Hagberg. Entdecke die Möglichkeiten. „Grünen-Machtkampf: Die Frauen haben sich durchgesetzt“, analysiert Bild messerscharf; Fischer bekomme nur ein „Trostpflaster“: Die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben, ein Rudel Stellvertreter rings um die Sprecherinnen, einen Generalsekret-är.
Wenn das ein Trostpflaster ist, was wäre der Hauptgewinn gewesen? Röstel rösten? So ähnlich: „Sollen wir uns noch drücken?“, hört der Bild-Fotograf die Sprecherin scherzen. Als hätten sie sich in der Regierung nicht schon um manches gedrückt. Doch dann Röstel und Fischer Arm in Arm – aus Sicht des siegreichen Außenministers vermutlich die flachste Art, jemanden auf den Arm zu nehmen.
Bis Samstag waren die Sprecherinnen ein Gegenpol – seit Montag sind sie geduldet. Fischers Test – wie viele ziehen mit, wenn ich Ernst mache – brachte Röstel bis zum Rücktrittsangebot und Radcke zum Ausrasten („partei- schädigendes Verhalten“). So schwache Gegner sind gute Freunde, hat Schröder am Beispiel Klimmt gerade vorexerziert.
„Gute Führung besteht wesentlich darin, qualifizierte Mitarbeiter nicht an ihrer Entfaltung zu hindern.“ Das haben Unternehmensberater von den frühen Grünen gelernt: Dezentralisierung, Abschaffung überflüssiger Hierarchie-Ebenen, Abbau von Privilegien und Prestige, Vertrauen auf das menschliche Urbedürfnis nach sinnvoller Tätigkeit.
Der schwache Chef muss mittelmäßige Helfer unter sich platzieren – die bleiben auf ihn angewiesen. Der dumme Chef muss kluge Kollegen wegloben – auf dass sie sich auswärts blamieren. Der ängstliche Chef macht es so wie die anderen – weil er an den eigenen Weg zum Erfolg nicht glaubt.
Rezzo Schlauch taugt zum großen grünen Volkstribun – platziert wurde er an der gänzlich introvertierten Stelle eines Fraktionschefs. Tom Koenigs genießt höchstes Ansehen auch bei Fischer-Kritikern – ab geht's zur Bewährung an die Front im Kosovo. Trittin hält nur noch im Kabinett, dass Fischer ihn nicht fallen lässt. Antje Vollmer war mal beliebteste Figur der Partei – nun hat sie einen Job, aus dem heraus politisches Agieren kaum mehr möglich ist.
Der Geschäftsführer, der seiner Firma so viel Potenzial nimmt, sollte bei einem zuverlässigen Aufsichtsrat die Augenbrauen hochschnellen lassen: Richtet es da einer zu seinem statt zu des Unternehmens Besten ein?
Bei der FDP ist das Amt des Generalsekretärs so wuchtig, virulent und wirksam besetzt wie lange nicht: Wer erinnert sich seit Westerwelle noch an dessen Vorgänger Hoyer, Schmalz, Haussmann? Nach Sachsen aber heißt das Beispiel FDP, den Versuch zu unternehmen, das grüne Hungerergebnis noch mal zu halbieren.
Es muss schrecklich gewesen sein in diesen strukturlosen Jahren. Mobbing, Niederlagen gegen Dümmere, Intrigen mit nichts als Genitalrassismus als Motiv: Fischer hat ohne jeden Zweifel an seiner Partei gelitten.
Allerdings wurde niemandem ein Rosengarten versprochen. Und erst recht keine Jobgarantie. Ein Platz im Geschichtsbuch schließlich gebührt eher dem, der für seine Ideale abtritt – als ohne sie weiter macht. Es sei denn, er hätte keine.
„Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?“ haben wir als Kinder gespielt. Dieser ausgeloste „Fischer“ brüllte dann von der anderen Straßenseite zurück, was immer ihm an Heimtücke einfiel: „So tief, dass man rückwärts auf einem Bein hüpfen muss!“
Dann hüpften wir alle rückwärts, und der „Fischer“ durfte die so Gehandicapten fangen und seiner Mannschaft einverleiben. Die Letzten, die es bis zur anderen Seite schafften, bekamen dann die nächste Aufgabe gestellt. Ein Kinderspiel.
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