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Großstadtalb schläft für diesmal

Tränenreiche Versöhnungen rühren unabhängig vom Geschlecht. In John Falls „Trick“ heißt schwul und New York universell  ■   Von Thomas Winkler

Gabriel ist nicht nur ein hoffnungsvoller Musicalkomponist, sondern auch hoffnungslos verklemmt. Für jemanden wie ihn ist es an jedem x-beliebigen Tag schwierig, jemanden ins Bett zu kriegen. Erst recht, wenn man zwar einen Liebhaber sprichwörtlich an der Hand hat, aber kein Bett aufzutreiben ist. Erst recht an einem Abend, an dem der dauergeile Hetero mit seiner Liebhaberin das gemeinsame Zimmer blockiert, man außerdem seiner besten Freundin versprochen hat, zu ihrem Auftritt zu kommen, und zusätzlich in einer Bar mit dem väterlichen Freund verabredet ist, der gerade deprimiert ist. Kein Wunder, dass sich auf der Suche nach der Matratze eine Odyssee entwickelt, die als heiteres Gegenstück zu Scorseses „After Hours“ durchgeht, in der sich der Großstadtalbtraum für diesmal schlafen gelegt hat.

Der Trip durch eine lange, chaotische New Yorker Nacht endet schließlich mit einem wunderbar romantischen ersten Kuss. Dazu leuchtet im Hintergrund der U-Bahnhof Christopher Street. Das ist allerdings kaum mehr als eine nette Erinnerung an die Geschichte schwuler Emanzipation, denn „Trick“ ist vor allem ein ziemlich amüsanter Beweis dafür, wie selbstverständlich schwule Themen im Kino inzwischen akzeptiert sind.

Die Geschichte von Gabriel und Mark funktioniert nicht deshalb, weil beide Männer sind. Sie funktioniert einfach deshalb, weil sie eine schöne Liebesgeschichte ist. Dramaturgisch machen schwule Protagonisten keinen großen Unterschied mehr, sondern vergrößern höchstens das Witzpotenzial, was hier zum einen oder anderen mit Klischees arbeitenden Kalauer führt. Aber egal, Lacher auf Kosten von Frauen und alternden Tunten stehen in bester Screwball-Tradition.

Die prägnanteste Rolle hat allerdings eine Frau: Tori Spelling, bekannt aus „Beverly Hills 90210“ und anderen Machwerken ihres TV-Meterware produzierenden Vaters Aaron Spelling. Bisher galt sie als Inbegriff von Talentlosigkeit mit den entsprechenden Beziehungen, hier liefert sie als latent lesbische beste Freundin von Gabriel Auftritte von rührender Unbeholfenheit und kreischender Überdrehtheit ab. So ganz klärt aber auch dieser Film nicht, ob Spelling nun eine schlechte Schauspielerin ist. Doch zumindest hat sie eine adäquate Rolle bekommen: Sie spielt eine schlechte Schauspielerin. So schlecht, dass sie als Zweitbesetzung engagiert ist in einer modernistischen Inszenierung von „Salome“, bei der die Handlung in ein Frauengefängnis verlegt wurde.

Ansonsten gilt: Romantische Komödien kommen immer gut, denn tränenreiche Versöhnungen rühren längst geschlechterunabhängig das Herz. „Es kam mir nie in den Sinn, den Film als einen 'schwulen Film‘ zu sehen“, sagt auch Tori Spelling, „er erzählt eine universelle Liebesgeschichte.“ Außerdem: Jemandem dabei zuzusehen, wie er sich beim Klavierspielen einen blasen lässt und wie das überhaupt nicht klappt, ist unabhängig davon lustig, welches Geschlecht da denn nun bläst.

Die Produktionsfirma Good Machine schenkte uns schon „Das Hochzeitsbankett“. Wenn es an den Kinokassen gerecht zuginge, müsste „Trick“ ähnlich erfolgreich werden und viel erfolgreicher als „Notting Hill“. Aber noch sind sich nicht alle Produktionsfirmen einig, ob schwule Protagonisten auf Dauer zum Crossover in den Mainstream fähig sein werden. Beim Sundance Festival, erzählte Drehbuchautor Jason Schafer, wäre er trotz des überwältigenden Erfolgs beim Publikum ständig von Agenten gefragt worden, ob er denn auch „irgendwas Nichtschwules“ geschrieben habe.

Eine kleine logische Schwäche hat die Low-Budget-Produktion, deren Titel im Schwulenslang so viel wie One-Night-Stand bedeutet: Mitten im Greenwich Village einen solch naiven schwulen Musicalkomponisten zu finden, der sexuell noch so verklemmt ist, dürfte im wahren Leben vollkommen unmöglich sein. Spätestens aber, wenn die Kamera nach diesem ersten und letzten Kuss zwischen Gabriel und Mark in die Luft steigt, um Greenwich Village von oben einzufangen, wird „Trick“ universell. Es ist das Licht. Ein Licht, wie man es nur sehen kann nach einer langen durchwachten Nacht. Ein Licht, wie es nur zu sehen ist in dem kurzen Moment, in dem die viel zu kurze großstädtische Morgendämmerung sich endgültig verabschiedet und zum neuen Tag wird. Exakt jener Moment, und da hatte Frank Sinatra mal nicht Recht, in dem selbst eine Stadt wie New York in einen kurzen, glücklich erschöpften Sekundenschlaf fällt. Dieser Moment, in dem es einem scheint, als wäre die Welt leer, man selbst ganz allein, aber fühlt eines ganz genau: Niemals wieder wird man schlafen gehen. Endlich ist man richtig wach geworden.

„Trick“, Regie: Jim Fall. Mit Christian Campbell, John Paul Pitoc, Tori Spelling u. a. USA 1998, 87 Min.

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