: Fischer plädiert für eine UNO-Reform
■ Der Bundesaußenminister zieht seine Lehren aus dem Kosovo-Konflikt und skizziert die künftige Rolle Deutschlands
Berlin/New York (taz/AFP/rtr) – Deutschland ist bereit, in der UNO künftig mehr Verantwortung zu übernehmen und sich bei der Konfliktbewältigung auch außerhalb Europas zu engagieren. Allerdings werde es einen „langen Atem“ erfordern, bevor die Bundesrepublik als ständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat einziehen werde, sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) vor seinem ersten Auftritt vor der UN-Vollversammlung gestern in New York.
In seiner Rede machte sich Fischer vor allem für eine Reform der UNO stark. Er warnte vor einseitigem Vorgehen und bekannte sich zum Multilateralismus. Der Einzelne und seine Rechte müssten stärker ins Zentrum des Sicherheitsbegriffes der Staatengemeinschaft rücken.
Zur Frage humanitärer Interventionen sagte Fischer, der Kosovo-Konflikt stelle in mehrfacher Hinsicht eine „Zäsur“ dar. Zum einen habe es die Weltgemeinschaft in diesem Fall nicht mehr akzeptiert, dass Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt und Terror als Mittel der Politik eingesetzt werde. „Die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten darf nicht länger als Schutzschild für Diktatoren und Mörder missbraucht werden“, sagte Fischer.
Zum anderen aber stelle der Kosovo-Konflikt auch eine Wegscheide für die Entwicklung der internationalen Beziehungen dar. Das Eingreifen im Kosovo sei in einer Situation der „Selbstblockade des Sicherheitsrates“ erfolgt und dürfe nicht zu einem Präzedenzfall für die Aufweichung des Monopols der Vereinten Nationen zur Autorisierung von legaler internationaler Gewaltanwendung werden – „und schon gar nicht zu einem Freibrief für die Anwendung äußerer Gewalt unter humanitärem Vorwand“.
Deshalb, so folgerte Fischer, müsse das bestehende System der Vereinten Nationen weiterentwickelt werden, damit diese künftig im Fall schwerster Menschenrechtsverletzungen eingreifen können, falls alle Mittel zur friedlichen Konfliktregelung scheitern. Gleichzeitig schlug Fischer vor, dass der Weltsicherheitsrat den neuen weltpolitischen Realitäten angepasst und repräsentativer zusammengesetzt werden müsse. Die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats sollten künftig vor der Generalversammlung begründen müssen, warum sie eine Entscheidung mit ihrem Veto blockieren.
Fischer vertrat die Ansicht, Deutschland müsse auch in Regionen außerhalb Europas aktiv werden. „Ansonsten entsteht schnell der Eindruck, dass wir nicht in einer Welt leben.“ Er sei sich sicher, dass die Entsendung eines Sanitätskontingents nach Osttimor eine Mehrheit im Bundestag finden werde. Der Bundesaußenminister warb für die Unterstützung des geplanten Internationalen Strafgerichtshofes. Die „Mörder von Dili und ihre Auftraggeber“ müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Zuvor hatte der sambische Präsident Frederick Chiluba die UNO dazu aufgerufen, sich stärker bei der Befriedung der Republik Kongo zu engagieren. Benötigt werde eine Friedenstruppe, die bei der Entwaffnung von Freischärlern und Milizen helfe, sagte der Hauptvermittler in dem blutigen Regionalkonflikt. Geld allein dürfe kein Argument für die UNO sein, sich zurückzuhalten. In anderen Weltregionen würden im Namen des Friedens keine Kosten gescheut.
Über die Zuständigkeit für militärische Einsätze gegen Völkermord und Vertreibung bestehen allerdings in der UNO grundsätzliche Differenzen, vor allem zwischen den USA und Russland. US-Präsident Bill Clinton sagte am Dienstag in seiner Rede, neben der UNO müssten auch andere Gruppen von Nationen berechtigt sein, gegen Massentötungen und massive Verletzungen der Menschenrechte vorzugehen. Dagegen betonte Russlands Außenminister Igor Iwanow, nur der UNO-Sicherheitsrat könne militärische Einsätze aus humanitären Gründen autorisieren. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass Zwangsmaßnahmen zu einem Unterdrückungsmechanismus umgewandelt würden, um unbeliebte Staaten und Bevölkerungen zu beeinflussen. Iwanow sprach sich für eine Reform des Sicherheitsrates aus, bei dem die Vetorechte der jetzigen fünf ständigen Mitglieder jedoch nicht eingeschränkt werden dürften.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen