„Ich habe keine Angst vor Joschka Fischer“

■ Grünen-Sprecherin Antje Radcke sieht sich nach dem Streit mit dem heimlichen Chef Joschka Fischer gestärkt. „Ich will das nicht einfach so akzeptieren“, kommentiert sie Fischers Griff nach der Führung im Koalitionsausschuss

taz: Frau Radcke, geben Sie's zu, die Doppelspitze funktioniert nicht.

Antje Radcke: Das kann ich nicht zugeben. Die Doppelspitze hat funktioniert, und ich bin auch willens, dazu beizutragen, dass sie weiterhin funktioniert.

Intern erklären selbst führende Grüne das Modell für gescheitert. Nur in Interviews wird das immer abgestritten. Das wäre jetzt Ihre Chance, reinen Tisch zu machen.

Ich mache reinen Tisch: Ich halte an der Doppelspitze und damit an der Quotierung fest. Unser Grundsatz ist, Frauen auch immer an der Parteispitze zu beteiligen. Das hat uns bisher ausgezeichnet – und dazu stehe ich auch weiterhin.

Gunda Röstel stand immerhin kurz vor dem Rücktritt. Zeigt das nicht, dass es mit den jetzigen Strukturen nicht weitergehen kann?

Die Rücktrittsgedanken bezogen sich nicht auf die Parteistruktur. Sie haben mit dem Ergebnis der Wahl in Sachsen zu tun, wo Gunda Röstel sich wahnsinnig engagiert hat.

Aber der Ruf nach Reform hat einen realen Hintergrund: Die Partei eilt von Niederlage zu Niederlage.

Es sind doch nicht die Strukturen schuld, dass wir die Wahlen verloren haben. Es mangelt an der richtigen Nutzung der vorhandenen Strukturen.

Finden Sie Gunda Röstel eigentlich toll?

Das ist überhaupt nicht die Frage. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Es hat sich auch im Laufe der Zusammenarbeit Sympathie entwickelt.

Klingt nicht sehr enthusiastisch.

Also, wir gehen ja keine Liebesbeziehung ein. Man muss diese Beziehung auf solide Füße stellen. Ich glaube, Gunda Röstel und ich haben bewiesen, dass das geht.

Ist der wahre Grund nicht ein anderer: Sie eint die Angst vor Joschka Fischer?

Also meine Angst vor Joschka Fischer hält sich in ganz, ganz engen Grenzen. Ich mache mich nicht abhängig von einer einzelnen Person. Man muss für sich selbst kämpfen – natürlich immer in Solidarität mit anderen.

Also eint Sie Wut, nicht Angst?

Ich denke, es ließ sich nicht verhehlen, dass ich am vergangenen Wochenende auch ziemlich wütend war. Das war ein reinigendes Gewitter zwischen Joschka Fischer und mir. Das war einfach mal nötig.

Haben Sie eine Idee, was Fischer eigentlich gegen Sie hat?

Nein, aber ich habe ihn danach gefragt – und erhielt keine Antwort.

Manchmal klingt es, als seien Sie und Frau Röstel den Wallungen des Joschka Fischer hilflos ausgeliefert.

Ich fühle mich Joschka Fischer gegenüber weder hilflos noch ausgeliefert. Wenn dem so wäre, hätte ich mir am letzten Wochenende auf die Zunge gebissen, anstatt klare Kritik zu üben. Auch der Parteirat hat ja sehr deutlich gesagt, dass er uns unterstützt. Joschka Fischer kann nicht im Handstreich eine Strukturreform durchsetzen.

Am Mittwoch hieß es, Joschka Fischer will die Führung im grünen Koalitionsausschuss übernehmen. Welchen Einfluss haben Sie als Parteichefin dann noch auf grüne Regierungspolitik?

Zunächst mal ist das seine Vorstellung. Darüber werden wir im Koalitionsausschuss zu reden haben. Ich will das nicht einfach so akzeptieren. Aber ich freue mich, dass Joschka Fischer sich jetzt verstärkt in den Gremien engagiert.

Beanspruchen Sie die Führung für sich?

Wir müssen Führung als Team gestalten. Ich habe konkrete Vorstellungen, wie der Koalitionsausschuss strukturiert sein muss und arbeiten muss, damit wir dort wirklich zu Ergebnissen kommen.

Was kann denn die Grünen noch retten?

Wir müssen uns wieder auf die Stärke aus den Oppositionszeiten besinnen: Antworten bieten, die unsere Gesellschaft dringend braucht.

Geben Sie mal so 'ne Antwort.

Bei der Rentenreform müssten wir zum Beispiel unser Grundsicherungsmodell stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen.

Schon das Wort „Grundsicherungsmodell“ passt kaum auf ein Wahlplakat. Gewinnt man so verlorene Wähler zurück?

Das Thema ist absolut aktuell. Wir müssen es als Partei wieder schaffen, abseits vom Regierungsalltag Themen zu setzen, die nicht sofort in einen Streit mit der SPD ausarten, sondern Debatten in der Gesellschaft anzetteln.

Die SPD hat mit Franz Müntefering jetzt einen Beauftragten für das Herz der Sozialdemokratie eingestellt. Die Herzen vieler Grünwähler scheinen dagegen längst erkaltet zu sein.

Ja, gerade an der Basis wissen viele nicht mehr: Was ist grüne Identität, wofür haben wir Wahlkampf gemacht, wofür sollen wir Wahlkampf machen? Wir müssen erreichen, dass wieder klar wird: Das ist das grüne Herz und dafür kämpfen wir.

Und was machen Sie, wenn Herr Fischer Sie das nächste Mal demontiert?

Wer, bitte, ist hier demontiert worden?

Interview: Patrik Schwarz