: Rot-Grün sorgt für niedrige Ölpreise
■ Die wirtschaftliche Lage ist mies, und so ist Wachstumskritik (fast) kein Thema
Berlin (taz) – Reinhard Loske passt die ganze Richtung nicht. Was die Grünen da in der Regierung treiben, registriert der umweltpolitische Sprecher seiner Fraktion mit einer gewissen Distanz. „Wenn ich Oswald Metzger über Konjunktur reden höre, wird mir schwindelig“, sagt Loske. Metzger als haushaltspolitischer Sprecher braucht mehrere Prozent Wirtschaftswachstum, denn damit steigen die Staatseinnahmen. Loske als Umweltpolitiker betrachtet das Wirtschaftswachstum hingegen mit Skepsis, denn es stellt eine Ursache für die fortschreitende Zerstörung der Umwelt dar. Schlecht für Loske: In Zeiten grassierender Arbeitslosigkeit interessiert das fast niemanden.
Beinahe schüchtern wagt sich der Umweltpolitiker jetzt wieder aus der Deckung. Die rot-grüne Regierung solle wenigstens versuchen, eine „wachstumsneutrale“ Richtung der Wirtschaftspolitik einzuschlagen, so Loske. Er plädiert für die Einschränkung von Subventionen und Wirtschaftshilfen des Staates in besonders umweltschädlichen Bereichen. So dürfe es kein Tabu sein, auch die finanzielle Unterstützung für die Kohleförderung im Ruhrgebiet zur Disposition zu stellen.
Mit rund sieben Milliarden Mark jährlich unterstützt der Staat die Förderung der Kohle – im Jahr 2005 sollen es immerhin noch 5,5 Milliarden sein. Wer allerdings die Verfeuerung der Kohle zur Stromproduktion subventioniert, muss sich darüber klar sein, dass er seine Ziele beim Schutz des Klimas kaum erreichen wird. Loske setzt sich hier deshalb für ein schnelleres Umsteuern ein – entgegen der bisherigen Pläne auch vor 2005. Die nötigen Ersatzarbeitsplätze dürften dabei nicht vergessen werden.
Der Umweltpolitiker fordert, noch in dieser Legislaturperiode die gesamte Wirtschaftsförderung im Hinblick auf die ökologische Wirkung zu überprüfen. Ein Beispiel: Aus ihren Etats für Wissenschaft bezahle die Bundesregierung Millionen für die Erforschung neuer Ölvorkommen auf der ganzen Welt. „Dadurch helfen wir mit, dass der Ölpreis niedrig bleibt“, so Loske. Um den Ausstoß von Schadstoffen zu reduzieren und die Aufheizung der Erdatmoshäre zu verlangsamen, wäre freilich die entgegengesetzte Politik notwendig: Die permanente Verteuerung des Energieverbrauchs mittels höherer Preise und höherer Steuern.
Diese Politik umzusetzen hieße jedoch, das Wachstum in einigen Bereichen der Wirtschaft zurückzuschrauben – ein Ansatz, der zur Zeit keine Konjunktur hat. Nicht nur Grünen-Politiker Loske will deshalb die Wachstumseuphorie hinterfragen. Die grünnahe Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet am kommenden Wochenende in Berlin ihren Kongress „Jenseits des Wachtums“ – ein Versuch, an die Debatte der 80er-Jahre und den weltweit beachteten, wachstumskritischen Report der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Brundtland anzuknüpfen.
Aller offiziellen Missachtung zum Trotz greift kritisches Bewusstsein auch dort um sich, wo man es am wenigsten erwartet: in den Unternehmen der Wirtschaft. Das Wuppertal-Institut für Umwelt, Klima, Energie, wo Reinhard Loske früher arbeitete, hat in einem Gutachten 100 Betriebe untersucht: 50 „wachstumsneutrale“ und 50 „normale“ Unternehmen. Erstere stellen die Zunahme von Produktion, Umsatz und Gewinn nicht in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Die zweite Gruppe, zu der etwa Konzerne der Automobilbranche gehören, will wie gehabt fusionieren und wachsen.
Das Wuppertal-Institut ermittelt in der bislang unveröffentlichten Studie folgende Tendenz: Der Verzicht auf Wachstum kann für Unternehmer durchaus einen betriebswirtschaftlichen Sinn haben. Einige der befragten Vorstände wiesen etwa darauf hin, dass sie die Qualität ihrer Produkte nur dann gewährleisten könnten, wenn sie nicht zu viel davon produzierten. Der Service für die Kunden und der technische Standard erforderten eine Beschränkung des Outputs. Durch solche Ergebnisse fühlt sich der grüne Umweltpolitiker Loske bestätigt: Anstatt weiter auf quantitatives Wachstum der Wirtschaft zu setzen, plädiert er für verschärftes Nachdenken über „qualitatives“ Wachstum.
Hannes Koch
Kongress „Jenseits des Wachstums – Nachhaltige Entwicklung versus Wirtschaftswachstum?“, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 24. – 26. September 99, Tel.: (030) 28 53 42 14
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