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Und jetzt ist es weg, und nun ist es gut

Eine Viertelmillion Frauen in Deutschland sind an Brustkrebs erkrankt. Dieses Jahr werden 43.000 hinzukommen, 15.000 von ihnen sterben. Nun ist eine Debatte darüber entbrannt, was Reihenuntersuchungen nützen, wenn der Arzt eine Geschwulst auf dem Röntgenbild übersieht. Brustkrebs – Stigma oder Schicksal? Eine Fotoarbeit von Katharina Mouratidi

„Bei der zweiten Seite habe ich mich überreden lassen – zu Silikonprothesen. Ich wollte nicht. Da bin ich sofort behämmert worden: ,So, und das muss jetzt operiert werden, und das ist viel praktischer, das auf einmal zu machen ...‘ Und so weiter. Nach zwei Tagen habe ich aufgegeben. Bin nie damit klargekommen, acht Jahre später war ich soweit: ,Da habt ihr sie wieder.‘ Seit dieser Entscheidung geht es mir gut: Ich brauche die nicht, ich will die nicht. Das sieht scheiße aus. Ist armselig. Ist weit davon entfernt, ein Busen zu sein. Hat etwas Klägliches, ich fühle mich unwohl damit. Und jetzt ist es weg, und nun ist es gut.

Dass ich nicht auf mich gehört habe, das ist die eigentliche Katastrophe. Wer hat über mich zu bestimmen, wem gehören meine Brüste, was haben sie für mich für einen Stellenwert, und bin ich keine Frau mehr, bin ich unerotisch, bin ich keine Mutter mehr, hab' ich nicht mehr die Fähigkeit der Intuition und Wärme anderen Menschen gegenüber? Weit gefehlt! Ich habe keine Brüste mehr und kann sowohl mein Kind ernähren als auch noch für meinen Mann erotisch sein. Ich habe nicht meine Intuition – ich habe dreihundert Gramm Fettgewebe eingebüßt, aber das ist es nicht nur.“

„Als ich in die Krebsberatungsstelle kam, stellte sich die eine Frau vor: ,Guten Tag, ich bin Karin, seit zehn Jahren Krebsüberlebende.‘ Da habe ich gedacht: Hm – wie lange bist du krebsüberlebend?

Und das ist für mich so ein Thema, das ich überhaupt nicht annehme. Ich sage nicht: ,Ich bin Cornelia und seit – weiß ich wie lange – krebsüberlebend.‘ Ich bin an Krebs erkrankt, und ich bin geheilt. Punkt. Denn: Wenn ich mir mein ganzes Leben lang sage: ,Ich bin jetzt seit einem Jahr krebsüberlebend, jetzt seit zwei Jahren, jetzt seit drei Jahren‘, identifiziere ich mich immer wieder damit und kann das nicht loslassen, und Loslassen ist für mich wichtig.

Freiheit ist überhaupt ein großes Thema in meinem Leben. Ich bin ja an Krebs erkrankt, habe meinen Mann verlassen, habe meinen Job verloren, ich denk‘, das waren schon einige harte Brocken, und trotzdem sage ich: Es war gut für mich und richtig für mich. Denn es hat mir den Weg in meine Freiheit geebnet.“

„Was mich am meisten betroffen gemacht hat im Zusammenhang mit Brustkrebs, ist, darüber nicht reden zu können, wie man möchte. Im Krankenhaus, am Krankenbett wurde darüber hinweggeredet, aber nicht von mir.

Ich wünsche mir, dass die Frauen ihre Sprache wiedergewinnen. Eben nicht stumm vor sich hin leiden. Diesen stillen Schmerz, diesen nicht ausgesprochenen Schmerz, den spürt man manchmal gar nicht. Es ist eben nicht dieser große, schreckliche Aufschrei: ,Oh, Krebs, um Gottes Willen!‘ Es ist eher dieses stille, wirklich stille Leiden, wo man den Schmerz wirklich nur manchmal ganz, ganz vorsichtig vorschimmern sieht. Und wenn sich das verfestigt, dann wird das vielleicht irgendwann ein ganz großer, tiefer Schmerz, und ich denke, das kann man aufheben, indem man sich dem Schmerz stellt, bewusst, und dann darüber redet.

Es tut so oder so weh. Es ist auch nichts gegen stillen Schmerz zu sagen. Muss man auch mal still leiden? Natürlich, ja, aber es soll nicht dabei stehen bleiben.“

„Ich habe mir gedacht, man muss irgendetwas schaffen, wo die Frauen besser informiert werden. In den Krankenhäusern, in denen ich war, da lief eigentlich so gut wie gar nichts außer vielleicht ein paar Informationen zum Lymphödem.

Dann habe ich so ein bisschen mitbekommen, was in den USA läuft, die Brustkrebsbewegung dort, und da habe ich gedacht: Stimmt, das ist eigentlich das Richtige. Es reicht nicht aus, wenn man so vor sich hinbröselt, das muss in die Öffentlichkeit. Es muss politisch gemacht werden. Das ist eine so häufige Erkrankung bei Frauen, die vor allen Dingen zunimmt, und wir müssen das publik machen. Wir – die Betroffenen – müssen Einfluss nehmen auf die Forschung und auf die Medizin indirekt. Und wenn wir eine gewisse Machtstellung haben, können wir diesen Einfluss auch ausüben.

Ich denke, es ist das Wichtigste, eine Institution zu schaffen, die mitbestimmt auf der gesellschaftspolitischen Ebene. Das wird noch ein bisschen dauern, aber, wenn wir so gut sind wie die Amerikanerinnen, werden wir es auch schaffen.“

„Durch die Krankheit habe ich begriffen, wie wertvoll das Leben ist, und wenn ich es jemals vergessen sollte, dann werden mich immer die Narben daran erinnern.

Fotos von früher, die ich vor der Operation noch gemacht habe, sind schön, die finde ich in Ordnung so. Aber wenn ich mich heute im Spiegel angucke, denke ich: Auf den Fotos fehlt irgendwas.

Also – es ist nicht so, dass ich mir die Narben wünsche, aber alles, was damit zusammenhängt, war und ist eben sehr wichtig. Also die ganzen Erfahrungen, die ganzen Gespräche, nächtelange Diskussionen, die definieren sich auch über die Narben.

Und was ganz wichtig war, ist auch die Erfahrung, dass ich das nicht verstecken will, um andere zu schützen. Ich will nicht um jeden Preis provozieren, aber ich muss mich nicht verstecken, um die anderen zu schützen, damit die das nicht sehen.“

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