taz-LeserInnen-Aktion

■ Wir haben euch unsere Stimme nur geliehen

Nach einem Jahr Rot-Grün fragen wir: Was halten Sie heute von unserer Regierung? Geben Sie Ihre Stimme noch einmal ab. Kurze Antworten an die taz, Stichwort Rot-Grün, Kochstr. 18, 10969 Berlin; Fax: (030) 251 93 16; E-Mail: lesertaz.de

Die SPD wirbt ununterbrochen damit, dass Menschen versorgt, beschäftigt, behütet werden wie kleine Kinder, und wundert sich jetzt, dass eine Anspruchshaltung gegenüber dem Staat entstanden ist, der sie nichts entgegenzusetzen hat. Grüne Aspekte gehen dort völlig unter.

Christoph Haag, Berlin

Bei all dem Gejammere über die – in der Tat – schlechte Performance der neuen Bundesregierung darf eines nicht übersehen werden: Nach allen Umfragen ging die Regierungsbildung an den Wünschen der großen Masse der Wähler vorbei. Die wollten nämlich eigentlich eine Große Koalition auf Bundesebene installieren. Angesichts der bisherigen „Erfolge“ der Schröder-Regierung wage ich auch zu bezweifeln, ob diese überhaupt bis 2002 durchhält. Faktisch gibt es ja bereits jetzt durch die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat eine Große Koalition. Die Grünen sollten sich auch fragen, ob ihr Überleben nicht eher in der Opposition gelingen kann. Bisher wurden jedenfalls so ziemlich alle Grundsätze, sei es beim Atomausstieg, der Verkehrspolitik oder auch in der AusländerInnenpolitik, über Bord geworfen. Nötig ist nun eine Neuorientierung und ein geschärftes Profil, das grüne Politik wieder unwechselbar macht.

Thomas von Bröckel, o.O.

Die armen linken Besser-Wessis. Kaum ist Rot-Grün an der Regierung, geht das Lamentieren los. Ist es nicht möglich, die durchaus positiven Ansätze zu unterstützen und die fehlende Linie durch konstruktive inhaltliche Anregung zu füttern? Links Sein = Kritisch sein = Destruktiv sein, das ist doch eine traurige Folgerung. Ich bin trotz Kosovo im Mai in die Partei eingetreten, um den inhaltlichen Prozess kritisch, nicht polemisch zu unterstützen.

Dawid Friedrich, Tübingen

Ich glaube, die rot-grüne Regierung ist gar nicht so machtlos, wie sie glaubt. Durch kleinere Aktionen könnte sie schon etwas erreichen, z.B. hat sich in den Bereichen Ökolandbau, Fahrradverkehr etc. nichts im Vergleich zu vorher verändert. Oder: Wenn man schon Krieg führen muss, braucht man nicht auch noch unbedingt öffentliche Gelöbnisse zu veranstalten, sondern kann auch etwas Gleichwertiges für Zivis machen. Oder: Die Bauern wählen sowieso CDU, da kann man schon die Ökobauern mehr unterstützen.

Andrea Keuchen, Berlin

Als Wähler der neuen Regierung frage ich mich jetzt manchmal, ob SPD und Grüne unserem Lande nicht besser in der Opposition gedient hätten. Zu oft habe ich den Eindruck, als würde es den Politikern zuerst um ihre eigenen Interessen, dann um die der Partei und zuletzt erst um die Belange des Landes gehen. Zu selten ist eine gewisse menschliche Größe erkennbar, die es ermöglicht, sich selbst zugunsten des politischen Ziels zurückzunehmen. Es fehlt offensichtlich vielen an einer kritischen Selbstwahrnehmung. Besonders Gerhard Schröder macht es sich und seinen Freunden schwer, indem er sich selbst in der Öffentlichkeit zu wenig beobachtet. Viele seiner peinlichen Gesten lassen vermuten, dass er noch unter seiner Herkunft leidet, andere, dass er sein Amt nicht ernst nimmt. Der fluchtartige Rückzug Oskar Lafontaines lässt auf ein sehr mangelhaftes zwischenmenschliches Klima in der Partei schließen, das mit Parteidisziplin nur überdeckt wird.

Rudolf Kuhr, München

Die größte Enttäuschung ist für mich die Verkehrspolitik: Ich hatte auf ein Umsteuern gegen den rasenden Autowahn mit Beruhigungsmitteln wie z.B. deutliche und wirksame Spritpreiserhöhungen, Tempolimits, Entfernungspauschalen für Berufspendler und Umlegund der Kfz-Steuer auf den Spritpreis gehofft. Wenn die Rahmenbedingungen konsequent und klar sind, sind die Menschen clever genug, Alternativen zu suchen!

Günter Liebert,

Hofheim/Ufr.

Ich würde wieder Grün wählen, aber mehr mangels Alternative. Dass die Grünen unter einem Kanzler Schröder nicht viel zu sagen haben würden, war mir schon klar. Nachdem ich damals bei Brandt in jugendlichem Überschwang zu viel erwartet habe und dann enttäuscht wurde, habe ich diesmal meine Erwartungen gaaanz niedrig angesetzt. Ich dachte: „Wenn sich auch nur ganz wenig ändert, eines wird bestimmt anders: Unter einem anthropologisch geprägten, einmal grün gewesenen und jetzt sozialdemokratischen Otto Schily als Innenminister werden keine Erwachsenen mehr in den Tod oder ins Gefängnis abgeschoben, keine Kinder in eine völlig ungewisse Zukunft ohne Eltern. Damit wird wenigstens Schluss sein, und allein deswegen wird sich der Wechsel gelohnt haben.“ Es macht mich zornig, dass Schily exakt in Kanthers Fußstapfen getreten ist! Sozialdemokraten haben uns verraten. Jetzt kann ich noch die Illusion päppeln, dass es unter einer grünen Innenministerin anders würde. Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht mehr.

Christiane Rattinger,

Offenburg