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„Wenigstens irgend eine Antwort“

Bettelbrief eines verkannten Genies: Der US-Germanist Hermann Weiss hat in der Züricher Zentralbibliothek einen verschollen geglaubten Hölderlin-Brief entdeckt  ■   Von Jürgen Berger

Im Jahr 1799 ist Hölderlin neunundzwanzig und hat mit seinen bisherigen literarischen Arbeiten fast nur Ablehnung erfahren. Auch seine Besuche bei Schiller in Weimar und bei dem in Frankfurt weilenden Goethe brachten ihm nicht den erhofften Erfolg. Er könnte sich damit trösten, dass es auch Hegel, mit dem er zuvor im Tübinger Stift darbte, nur zum Hauslehrer gebracht hat. Aber was nützt das schon. Genies wollen mehr – und auf keinen Fall griechische Vokabeln mit den Kindern eines Frankfurter Bankiers pauken, in deren Mutter sie sich zu allem Unglück auch noch unsterblich verliebt haben.

Was macht ein Autor in solch einer Situation? Er versucht, eine eine Zeitschrift zu gründen, um Kontakt zu all den großen Dichtern und Denkern der Zeit herzustellen, die ihn meist nur freundlich-herablassend behandeln. Iduna sollte das aus dem Geiste des Humanismus geborene Periodikum heißen, dessen erste Nummer im Juni 1799 erscheinen sollte und für das Hölderlin unter anderem Schelling, Goethe und Schiller als Mitarbeiter gewinnen wollte. Wie viele Bittbriefe er verschickte, weiß man nicht. Dass einer von ihnen tatsächlich bei dem Schweizer Arzt, Geografen und Naturforscher Johann Gottfried Ebel angekommen sein musste, ist der Hölderlin-Forschung allerdings schon seit längerem aufgrund eines Antwortschreibens von Ebel bekannt.

Der lebte damals in Paris, und man weiß, dass er Hölderlin in jener Frankfurter Bankiersfamilie eingeführt hatte, deren weibliches Oberhaupt als „Diotima“ in die Weltliteratur eingehen sollte. Der Bittbrief Hölderlins an Ebel allerdings galt als verschollen. Es kommt also einer Sensation gleich, dass der an der University of Michigan Ann Arbor lehrende Germanist Hermann F. Weiss jetzt in der Züricher Zentralbibliothek eine Spur entdeckte und der Brief auch tatsächlich gefunden wurde.

Er wird im Oktober in der Zeitschrift TEXT aus dem Stroemfeld-Verlag dokumentiert, noch bevor er in die „Kritische Hölderlin-Ausgabe“ des gleichen Verlags aufgenommen wird. Im Vorwort schreibt Weiss, der Brief sei in Privatbesitz verblieben und nicht mit dem restlichen Ebel-Nachlass an die Züricher Zentralbibliothek gelangt. Warum? Die Leiterin der dortigen Handschriftensammlung, Marlis Stähli, erklärt es so: „Wir hatten Hinweise darauf, wo der Brief ist. Bei der Fülle unserer Bestände gehen wir solchen Hinweisen allerdings erst nach, wenn wir danach gefragt werden.“

Es musste erst einer wie Weiss kommen, damit Schweizer Bibliotheks- und deutsche Germanistenmühlen sich in Bewegung setzen. „Der Hinweis auf den Brief im Ebel-Nachlass war offen zugänglich, und ich konnte es kaum glauben, dass man ihm bisher noch nicht nachgegangen ist“, sagt Weiss. Inzwischen liegt der Brief als Depositum in der Zentralbibliothek. Dass er dort nicht schon länger zugänglich ist, ist deshalb besonders ärgerlich, weil das achtseitige Dokument deutlich macht, was Hölderlin mit seiner Zeitschrift wollte und mit welchen Depressionen er zu jener Zeit kämpfen hatte.

Das Jahrhundert ging zu Ende, und zum persönlichen Schmerz über die Distanz zu Diotima alias Susette Gontard kam die allgemeine Sorge über Bonapartes Staatsstreich und das Ende jeglicher republikanischer Hoffnung im Gefolge der Französischen Revolution. Unter anderem wegen der politischen Situation macht Hölderlin in einer langen Einleitung zunächst deutlich, dass er sich in einer Krise befindet, die seine literarische Produktion in Frage stellt. „Ich habe die Einsamkeit, in der ich hier seit vorigem Jahre lebe, dahin verwandt, um unzerstreut und mit gesammelten unabhängigen Kräften vielleicht ein Reiferes, als meine bisherigen kleinen schriftstellerischen Producte sind, zu Stande zu bringen“, schreibt er und meint mit dem „Reiferen“ die erste Fassung des „Empedokles“.

Dass eines seiner bisherigen „Kleinprodukte“ unter dem Titel „Hyperion“ dereinst als eines der größten Werke deutscher Literatur gelten würde, hätte er damals wohl nicht geglaubt. Folglich hält er sich zuerst einmal über zwei Seiten mit philosophierendem Selbstzweifel auf und rückt erst dann mit seinem Anliegen heraus. „Auf diese Art haben mir die Materialien, die ich unter den Händen habe, zu dem Entwurf eines humanistischen Journals Veranlaßung gegeben“, schreibt Hölderlin und führt aus, dass er eine aus humanistischen Idealen gefertigte Medizin gegen das in Stellung bringen wollte, was er in seiner berühmten Hyperion-Schimpfrede an die Deutschen gebrandmarkt hatte.

Mit „Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden“ beginnt die Schimpfrede. Seinen Brief lässt Hölderlin mit der Bitte enden, Ebel solle doch bei dem damals ebenfalls in Paris lebenden Wilhelm von Humboldt ein gutes Wort für ihn einlegen. Ob der die Bitte weitergeleitet hat, ist unbekannt. Es hätte wohl aber auch nicht viel genützt, da Humboldt sich in einem Brief an Schiller negativ über Hölderlins Gedichte geäußert hatte.

Er habe in dem Stuttgarter Antiquar Steinkopf bereits einen Verleger für die Zeitschrift gefunden, und der wolle tatsächlich „jedem Mitarbeiter wenigstens ein Karolin für den gedrukten Bogen“ geben, schreibt Hölderlin noch, bevor er mit der Bitte um „wenigstens irgend eine Antwort“ endet. Ebel allerdings ließ sich Zeit, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, dass aus der Zeitschrift nie etwas wurde.

Und dabei wäre Hölderlin im Sommer 1799 so auf Zuspruch angewiesen gewesen. Dass Ebel nicht sofort reagierte und er von Schiller – dem er einen sachlicheren Brief geschrieben hatte – nie eine Antwort bekam, musste er allerdings auch sich selbst zuschreiben. So umständlich, wie er zuerst einmal ein philosophisches Programm entwickelt, um seine Motive für die Zeitschriftengründung darzulegen, musste selbst ein wohlmeinender Leser Zweifel an der Durchführbarkeit des Projektes hegen. „Endlich sollte das Journal im Allgemeinen, aus dem Gesichtspuncte der Humanität beobachtend und räsonirend, über die Karaktere und Sitten und Meinungen und Formen des menschlichen Lebens, als aus einer gemeinschaftlichen Quelle, dem organisirenden Bildungstriebe, und seinem Grunde, der vielfältig und inig organisirten Menschenatur hervorgegangen, jedoch mit Unterscheidung des Edlen und der Abart, des Reinen und der Verirrung – belehrend und unterhaltend seyn“, schreibt er resümierend und hätte sich von einem heutigen Blattmacher wohl die Frage gefallen lassen müssen, was das eigentlich werden soll: philosophisches Fachblatt oder Hausfrauenpostille?

„TEXT 5“ (1999). Herausgegeben von Roland Reuß, Wolfram Groddeck und Walther Morgenthaler. Stroemfeld-Verlag, 220 Seiten, 48 DM

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