: Der nette Mann von nebenan
Wenige Tage vor den Wahlen in Österreich liegt die rechte FPÖ weit vorn. In Kärnten erfreut sich der Landeshauptmann Haider großer Beliebtheit ■ Aus Freistritz im Rosental Ralf Leonhard
„Wir schaffen es“, verkündet das Plakat, auf dem Jörg Haider seine Spitzenkandidaten, den Papierindustriellen Thomas Prinzhorn und den Abfahrtsolympiasieger Patrick Ortlieb, siegessicher bei der Hand hält: „Gerade jetzt FPÖ“. Auf der anderen Straßenseite, an einer Abzweigung in der Ortschaft Feistritz im südlichen Kärnten, steht ein hölzerner Wegweiser: „Willkommen im romantischen Bärental. Stou-Hütte, Klagenfurter Hütte, Wanderwege.“
Das Bärental, ein Privatforst von 1.600 Hektar Größe , ist der Stammsitz des Jörg Haider, seines Zeichens Landeshauptmann von Kärnten und Herausforderer von Bundeskanzler Viktor Klima bei den Nationalratswahlen vom 3. Oktober. Acht Kilometer windet sich die schmale Straße bergan. Aus dem saftiggrünen Mischwald schießen Bäche und Wasserfälle. In der Stou-Hütte, drei Stunden vom Gipfelkreuz und der Grenze zu Slowenien entfernt, kehren Wanderer und Mountainbiker ein, um sich vor dem Aufstieg zu stärken. Frau Rieder serviert hier selbstgemachte Kasnudeln, bodenständige Kost, die von Holzfällern und Sommerfrischlern gleichermaßen geschätzt wird. Nur ein paar hundert Meter bergan liegt einer der Haiderschen Landsitze, weithin erkennbar an den auf der Wiese postierten Gartenzwergen.
Die Polit-Bekanntschaft vom Tennisplatz
Dass die politischen Gartenzwerge der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) von 5 Prozent im Jahre 1986 so stark wachsen konnten, dass ihnen für die Nationalratswahl am kommenden Sonntag 30 Prozent prognostiziert werden, verdanken sie unbestritten ihrer charismatischen Führerfigur Jörg Haider. Das kann man nirgendwo so klar beobachten wie in Kärnten. Haider ist allgegenwärtig und war es auch schon, bevor er im vergangenen März zum Landeshauptmann dieses südlichsten Bundeslandes gewählt wurde. „Ich war ein völlig unpolitischer Mensch“, behauptet Christian Scheider, der einst als Tennis-Landesmeister eine gewisse Popularität genoss. Haider kennt er seit langem vom Tennisplatz und unzähligen Sportveranstaltungen. Schritt für Schritt wurde er über persönliche Gespräche in die Partei geholt. Heute sitzt Scheider als Klubobmann der FPÖ im Kärntner Landtag. Mit prominenten Sportlern pflegt jeder Politiker gern Kontakt.
Doch Jörg Haider ist klug genug, auch den kleinen Mann zu umwerben. „Er war der erste Politiker, der am Weihnachtsabend mit einer Flasche Wein vorbeikam“, erinnert sich der Portier der Bären Batterien, des ältesten und traditionsreichsten Industriebetriebes von Feistritz im Rosental.
Wenige Kilometer vom Wörther See entfernt, bietet das Rosental am Fuß der Karawanken den Erholungsuchenden frische Bergluft. Während die Ortsnamen allesamt eingedeutscht wurden, verraten die Namen der Berggipfel – Dobratsch, Koschuta, Hochobir – dass man sich auf uraltem slowenischem Siedlungsgebiet befindet.
„Sv. Lambert, varuj našo župntjo“ (Hl. Lambert, schütz unsere Pfarre), steht über dem Eingang der spätgotischen Pfarrkirche von Suetschach, das zur Gemeinde Feistritz, auf Slowenisch Bistrica, gehört. „Selbstverständlich kommen slowenisch- wie deutschsprachige Katholiken gleichermaßen zur Sonntagsmesse“, bestätigt der bärtige Pfarrer, verwundert über die Frage. Das Minderheitenproblem, das in den Siebzigerjahren noch die Gemüter erregt hatte, ist längst gelöst. Damals hatten slowenische Nationalisten durch Übermalen der Ortstafeln mit den slawischen Namen die im Staatsvertrag garantierte Berücksichtigung der slowenischen Minderheiten eingefordert. Sie bekamen zweisprachige Ortsschilder, die Bewegung brach in sich zusammen. Doch der Oberösterreicher Jörg Haider, der wenig später als junger FPÖ-Parteisekretär nach Kärnten kam, erkannte die Volksgruppenproblematik als emotionales Thema und ging nun mit deutschnationalen Parolen auf Stimmenfang. Die slowenische Minderheit ist aber inzwischen aus dem Schussfeld geraten, denn Haider hat die Ausländer als Sündenbock entdeckt: deren vermeintliche Privilegien wecken bei den Wählern Emotionen.
Feistritz war vor hundert Jahren noch eine slowenische Gemeinde. Von den 1.735 Einwohnern gaben nur 162 Deutsch als Muttersprache an, in der Mehrzahl Verwaltungspersonal. Nach der Volksabstimmung von 1920, in der sich das jugoslawisch verwaltete Südkärnten für Österreich entschied, stand es immer noch 1.078 zu 555 für die Slowenen. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1939 deklarierten sich nur mehr 650 Feistritzer als Slowenen, wärend sich 872 als Deutsche bezeichneten. Vertreibungen, Deportationen und Zwangsgermanisierung machten die slowenische Volksgruppe schließlich (1976) zu einer Minderheit von 321 Personen gegenüber 1.828 Deutschkärtnern.
Bei den Bären Batterien stehen auf der Hälfte der Stechkarten bei der Portierloge slawische Namen. Nur 26 solcher Karten stecken in der mit 175 Schlitzen ausgestatteten Halterung. Die Erben des Firmengründers Leopold Jungfer verkauften vor wenigen Jahren die Fabrik an den italienischen Konzern Fiamm bei Vicenza. Im vergangenen Dezember erhielt mehr als die Hälfte der Belegschaft den Entlassungsbrief. Zwei von vier Produktionslinien wurden seither von den neuen Inhabern ins Billiglohnland Tschechien verlegt.
Andere Industriejobs sind in der Gegend praktisch nicht zu finden. Die Drahtseil- und Schusternägelfabrik im benachbarten Ferlach steht schon einige Jahre still. Und auch die verbliebenen Mitarbeiter der Bären Batterien, viele von ihnen sind Nebenerwerbsbauern, die von ihrem Grund allein nicht überleben können, fürchten sich vor weiteren Rationalisierungen.
„Wir haben die Bären Batterien gerettet!“, versichert Claudia Haider, die Ehefrau des Landeshauptmanns, und meint mit „wir“ ihre Partei. Sie sitzt für die FPÖ im Vorstand des Gemeinderates von Feistritz und reklamiert es als Verdienst ihrer Politik, dass die Bären nicht ganz schließen mussten. „Keine Spur“, meint dazu der pensionierte Schulinspektor Anton Feinig, der mehrere Jahre für die slowenische Einheitsliste im Gemeinderat saß. Das Werk sei vor kurzem von zwei Holzindustriellen, den Brüdern Max und Franz Wrodnigg, aufgekauft worden. Laut Berichten der Lokalpresse wollen sie der Fabrik am Ausgang des Bärentals wieder zu alter Blüte verhelfen. Mit Haider oder der FPÖ hätte diese Übernahme nicht das Geringste zu tun.
Jörg Haider versteht es aber, jeden Erfolg für sich zu reklamieren. Seiner Politik als Landeshauptmann sei es zu verdanken, so die Propaganda, dass in Kärnten die Mieten um durchschnittlich tausend Schilling (etwa 140 Mark) gesunken sind und der Strompreis gesenkt wurde. „Die Strompreissenkung“, so Slowenenverbandsobmann Marjan Sturm, „hängt mit der Liberalisierung des Strommarktes zusammen. Und die Mieten wurden billiger, weil Wohnungsbaugenossenschaften und Gemeinden endlich die niedrigen Zinsen auch an die Mieter weitergeben.“ Dass die Sozialdemokraten, die Kärnten jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit regierten, oder die ÖVP, die zuletzt den Landeshauptmann stellte, die Kostenersparnis genauso schnell an die Konsumenten weitergegeben hätten, glauben allerdings auch Haiders Gegner nicht.
Neidlos konzedieren selbst die traditionell rot wählenden Kärntner Slowenen dem Landeshauptmann enormes politisches Talent. Schneidermeister Johann Weiss kennt sogar einige Slowenen, die öffentlich zugeben, FPÖ gewählt zu haben. In allen Fällen lag eine persönliche Begegnung mit Haider der Annäherung an die FPÖ zugrunde. Nicht selten mischt sich Jörg Haider in irgendeinem Dorfwirtshaus unters Volk und verwickelt die Leute in Gespräche. Wenn er hört, dass einer gerade ein Haus baut, dann taucht er am nächsten Tag mit einer Kiste Bier auf der Baustelle auf, stellt sich eine Viertelstunde mit der Kelle an die Wand oder mit der Schaufel an die Betonmischmaschine und sorgt damit für den Rest der Woche für Gesprächsstoff in der Nachbarschaft. Für die Jugendlichen, die schwer für Politik zu begeistern sind, veranstaltet er Beach Partys, garantiert mit Freibier für Stimmung und lässt den einen oder anderen auch mal eine Runde in seinem Porsche drehen.
Beeindruckt zeigte sich auch die Leiterein eines Frauenberatungszentrums in Klagenfurt, die zu einem von der Landesregierung einberufenen Frauentreffen nicht nur eingeladen, sondern dort auch von Frau Haider freundlich und mit Namen begrüßt wurde. Als während der Veranstaltung das Mikrofon ausfiel, kletterte zu ihrem Erstaunen nicht ein anonymer Techniker, sondern der Landeshauptmann persönlich auf die Bühne und brachte das störrische Gerät wieder in Gang. „Von den anderen Parteien hätte keiner so etwas gemacht.“
Keine Suada gegen Ausländer im Wirtshaus
Die Verkrustung der selbstherrlich regierenden Parteien SPÖ und ÖVP sowie das persönliche Charisma sieht auch der Textilunternehmer Mario Canori als Gründe für Haiders kometenhaften Aufstieg. Der 35-jährige Spross einer sozialdemokratischen Familie, der sich in Haarschnitt und Styling dem FPÖ-Parteivorsitzenden angepasst hat, ist schon vor 20 Jahren durch persönliche Freundschaft mit dem damaligen Landesparteisekretär zur FPÖ gekommen. Er glaubt, dass die Freiheitlichen in Kärnten auch deswegen so stark seien, weil Haider hier durch größere Präsenz zuverlässigere Funktionäre heranziehen konnte als in anderen Bundesländern.
Mario Canori ist zuversichtlich, dass seine Partei auch bei den bevorstehenden Wahlen wieder kräftig zulegen wird. Die Stimmung sei gut: „Nicht so enthusiastisch wie vor fünf Jahren. Man spürt aber ein breites Wohlwollen.“ Wer sich Haiders Kärnten als Nest rabiater Rechtsradikaler vorstellt, wird tatsächlich enttäuscht. Auf Fußballplätzen soll man gelegentlich Sprechchöre extremistischer Deutschnationaler hören, die, ermutigt durch Haiders Vormarsch, die „Jugos“ zurück nach Slowenien“ treiben wollen. Doch sonst hält sich der Überschwang in Grenzen. Im Gasthaus Stefaner in Suetschach, das sich schon durch die blaue Hausfarbe und das Kärntner Wappen an der Eingangstür als Treff von Deutschnationalen deklariert, wird nicht über Politik gesprochen. Und auch im Wirtshaus Pertl, gleich hinter den Bären Batterien, ist den Gästen selbst nach mehreren Runden Obstler kein Vivat auf Haider und keine Suada gegen die Ausländer zu entlocken: Interessant ist vor allem, ob der örtliche Sparverein angesichts des niedrigen Zinsniveaus noch sinnvoll ist und wie man beim Kartenspiel den Gegner aufs Kreuz legen kann.
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