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Der vermeidbare Tod des Udo H.

■ Ein anonymer Brief löste in Hamburg einen Polizeieinsatz aus, bei dem ein Unschuldiger getötet wurde

Vor zwei Monaten wurde Udo Hammerschmidt in seiner Wohnung im Eimsbüttler Heußweg von Beamten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) erschossen. Bei dem 41-Jährigen habe es sich um einen gefährlichen Kokain-Dealer gehandelt, behauptete die Polizei. Als die Beamten nachts um 0.23 Uhr seine Wohnung stürmten, habe Hammerschmidt auf einen MEKler geschossen. Die Verdächtigungen haben sich als haltlos erwiesen, die Ermittlungen gegen Hammerschmidt sind ergebnislos eingestellt worden.

Freunde und die Ex-Lebensgefährtin und Mutter seines Sohnes Yannik, Sabine Rother, verlangen weiterhin Aufklärung, wie es zu dem Polizeieinsatz kommen konnte. „Udo Hammerschmidt ist unschuldig zum Opfer geworden, die Verantwortlichen müssen gefunden werden“, verlangten sie ges-tern bei der Beisetzung.

Udo Hammerschmidt war vielen Eimsbüttlern bekannt. Nach einigen persönlichen Tiefschlägen rutschte der Ex-Jurastudent und Vermessungsingenieur ab. Er begann zu trinken. Im Polizeirevier Grundstraße war er wegen einiger Eskapaden als Störenfried und Querulant bekannt, galt aber als harmlos. Einmal habe er nachts Zebrastreifen auf die Straße gemalt, um Kindern zu helfen. „Udo hat niemanden etwas getan, er war intelligent und lustig“, erinnert sich Sabine Rother. Konflikten sei er stets aus dem Weg gegangen, bestätigt auch Freund Peter Schmidt. „Er hatte Angst vor der eigenen Szene.“

Aus gutem Grund: Nach einem Streit hatte ihm kürzlich ein Zechkumpan die Tür eingetreten. Hammerschmidt erstattete Anzeige und schaffte sich eine Gaspistole an, was er auch dem Revier Grundstraße mitteilte.

Doch dann traf bei der Polizei nach Angaben von Sprecher Hans-Jürgen Petersen ein „anonymer Brief“ ein. Darin bezichtigte ihn ein „Unbekannter“, in der Wohnung mit großen Mengen Koks und Hasch zu dealen. Hammerschmidt sei gefährlich, warnte der Briefeschreiber, es könne „schnell zur Schießerei kommen“. Ohne beim zuständigen Revier Nachforschungen anzustellen, beantragte die Drogenfahndung des Landeskriminalamtes aufgrund des anonymen Hinweises einen Durchsuchungsbeschluss und observierte unregelmäßig Hammerschmidts Wohnung. „Es wurden aber keine Bewegungen festgestellt“, gesteht Petersen heute ein.

Am 22. Juli gegen 22 Uhr bemerkten dann Drogenfahnder erstmals Licht in der Wohnung, nachdem Udo Hammerschmidt mit seinen Freunden Beate J. und Frank M. nach Hause gekommen war. Die Fahnder beschlossen, noch am Abend den „Zugriff“ zu tätigen. Peter Schmidt: „Wenn die was von ihm wollten, hätten die ihn täglich im Unna-Park abgreifen können.“ Die Drogenfahnder orderten zudem zur „Zugangssicherung“ das MEK, obwohl sie hätten wissen müssen, dass Hammerschmidt nur eine Gaspistole besaß. Polizeisprecher Petersen: „Das machen wir immer so.“

Gegen 0.23 Uhr stieß die schwerbewaffnete Spezialtruppe mit einem Rammbock die Tür zur Wohnung ein. Im dunklen Flur trafen sie auf Hammerschmidt. Dieser hatte aufgrund des Krachs seine Gaspistole gegriffen und aus vier Metern Entfernung einmal auf einen mit schusssicherer Weste bekleideten Beamten gefeuert. Ob die Polizisten „Polizei – nicht bewegen“ gerufen haben, können die Zeugen Beate J. und Frank N. nicht sagen. Einer der Beamten schoss zurück. Udo Hammerschmidt wurde zweimal in den Bauch getroffen und starb wenige Stunden später im Krankenhaus.

Die Drogenfahndung, die in der Wohnung wenige Gramm Haschisch sicherstellte, hat die Akte Hammerschmidt inzwischen geschlossen. Die Staatsanwaltschaft hingegen ermittelt nun gegen den MEK-Beamten wegen fahrlässiger Tötung. „Nach der Obduktion werden nun Schussgutachten über Form und Schwere der Schussverletzungen erstellt“, so Sprecher Rüdiger Bagger. „Das alles ist noch nicht abgeschlossen.“ Selbst wenn Hammerschmidt mit einer echten Waffe geschossen hätte, versicherte ein Experte der taz, hätte die Kugel die schusssichere Weste nicht durchschlagen können. Sie widerstehen selbst aus vier Meter Entfernung abgefeuerten 9-Millimeter-Geschossen.

Sabine Rother wartet immer noch auf die offizielle Rehabilitierung des Vaters ihres Sohnes: „Er soll nicht später mal zu hören bekommen, dein Vater war Drogendealer und ist erschossen worden.“

Kai von Appen

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