piwik no script img

Die Jugend tagt im Parlamentssimulator

Im Abgeordnetenhaus trafen sich gestern 150 Schüler aus Berlin und Brandenburg, um den Alltag des Europaparlaments nachzuspielen. Anhand eines Berichtes über den EU-Beitritt Polens sollten sie eigene Positionen entwickeln. Doch die Debatte kam nur schwer in Gang    ■ Von Christoph Rasch

Als die ersten Sonnenstrahlen den Preußischen Landtag treffen, stehen sie schon in dicken Trauben vor dessen Portal: 150 SchülerInnen aus Berlin und Brandenburg schmieden schon frühmorgens politische Strategien, mitten in der Bannmeile. Die Junge Europäische Bewegung, eine schon 1949 gegründete, parteienübergreifende Jugendorganisation, hat die Pennäler in die heiligen Hallen des Abgeordnetenhauses eingeladen, Platz zu nehmen statt auf der Tribüne im Plenum, als simuliertes Europäisches Parlament. Ausgesucht wurden die Jugendlichen von ihren Schulen. So sind fast nur Politprofis anwesend: Mitarbeiter der Schülervertretungen oder Schülerzeitungsredakteure.

Die echte Straßburger Volksvertretung sieht in der Veranstaltung nicht nur ausgelagertern Politikunterricht, sondern auch Werbung in eigener Sache. Weshalb man die Aktion auch unterstütze, so Bernd Kunzmann aus dem Berliner Informationsbüro des Europaparlaments. Das sei angesichts grassierender Wählermüdigkeit auch bitter nötig: „Wir nutzen inzwischen jede Gelegenheit, Jugendliche überhaupt zu erreichen“, sagt Kunzmann.

Dann geht es richtig los: Namensschildchen, Positionspapiere aus dem EU-Parlament und Sitzplätze mit Mikrofon werden verteilt. Staunend nehmen die Teenager dort Platz, wo sich sonst Landowsky, Böger & Co. in Debatten ergehen, die, wie der 18jährige Julian Holter aus Tegel findet, ja auch nur bessere Talkshows sind.

Um die Show alleine geht es den Veranstaltern jedoch heute nicht. Ein Arbeitsparlament soll simuliert werden. Anhand eines Berichtes aus dem echten Parlament sollen die Jugendlichen in sechs Fraktionen eigene Anträge ausarbeiten. Vorgegebenes Thema: Polens EU-Beitritt. „Habt ihr das schon mal in der Schule durchgenommen?“, fragt einer der Organisatoren das Plenum, erntet aber nur Schweigen im Saale. Nur wenige Schüler nicken bescheiden. Auch nach der Fraktionierung der Schüler lässt eine jugendfrische Debatte auf sich warten. Im Büro der „Linken“ redet zunächst einmal Benjamin Hoff, der mit 19 Jahren für die PDS ins Abgeordnetenhaus einzog. Trotz vieler Wahlkampftermine hat sich Hoff Zeit als Fraktionsbetreuer genommen. Der Europazugang über die großen Themen biete sich an, meint der Politprofi. Denn Schüler in einer fiktiven Bezirksverordnetenversammlung über Straßenschilder debattieren zu lassen, wäre absurd. Dennoch verfällt der Wahlkämpfer Hoff dann doch in den Jargon der großen Politik und doziert unter dem Motto „wir in der PDS“ über die Privatisierung der Wasserbetriebe.

Erst als die Schüler in Kleingruppen reden, kommt es zur Debatte. Man müsse die Zölle zwischen den Staaten senken, fordert einer. Oder gleich abschaffen, legt ein anderer nach. Und ein dritter will ganz staatsmännisch das eine mit dem anderen verbinden und den Beitritt Polens zu mehr sozialer Gerechtigkeit innerhalb der derzeitigen EU-Länder nutzen.

Am Nachmittag trifft man sich zum Showdown im Plenum. Scherzhaft begrüßt Parlamentspräsident Cornelius Winter die jugendlichen Ein-Tags-Abgeordneten als „liebe Simulanten“, kritisiert aber gleichzeitig das Verhalten der Berufspolitiker: Die reden vor allem über Jugendliche, aber nicht mit ihnen.

Zum letzten Mal gab ein jugendliches Plenum 1995 ein Gastspiel im Abgeordnetenhaus. Dessen derzeitige Vizepräsidentin, Marianne Brinckmeier (SPD), plädiert daher für eine verstärkte Förderung des politischen Jugend-Engagements, denn das Verhalten mancher Abgeordneter ist nicht gerade eine gute Werbung. Die Herabsetzung des Kommunal-Wahlalters lehnt Brinckmeier aber ab: die nötige politische Reife brächten 16jährige schließlich nicht unbedingt mit, findet die Vizepräsidentin. So sind die bedingt mündigen Teenager eher eine Herausforderung, für den Protokollchef des Hohen Hauses, der eilig auf Ordnung, Rauch- und Handyverbot im Plenarsaal hinweisen lässt. „Wirklich interessant“, bemerkt ein Schüler süffisant, „sind Jugendliche für Politiker eben nur im Wahlkampf.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen