Der Herr der Meiler

Energie ist für Hans-Dieter Harig Geschäft, nicht Leidenschaft. Das macht den Atomausstieg nicht einfacher. Denn nach der Fusion von Veba und Viag wird er der Chef des größten Stromkonzerns der Republik  ■   Von Heike Haarhoff

Er könnte sagen, was für eine peinliche Nummer. Er könnte fragen, für wen halten die mich eigentlich, ist das vielleicht mein Ausstieg. Er könnte vermutlich sogar aus dem Stand eine geschliffene Rede halten über Dilettantismus im Allgemeinen und die Bundesregierung im Besonderen. Denn zimperlich sind der Wirtschaftsmanager Hans-Dieter Harig und seine Urteile nicht. Wäre da nicht, wie er sagt, diese „Verwunderung“.

Über Rot-Grün. Besonders über Grün. Über die Sache mit dem Atomausstieg. Und ganz besonders über den Umgang mit Leuten, auf die die Grünen dabei doch angewiesen sind. Leute wie Hans-Dieter Harig. Derzeit Boss der PreussenElektra, eines Energiekonzerns mit 23.000 Mitarbeitern, mit 16 Milliarden Mark Jahresumsatz und mit Beteiligungen an jedem fünften deutschen Atomkraftwerk. Demnächst einer der mächtigsten Energiemänner der Republik: Nach der Fusion von Viag und Veba, deren Tochter die PreussenElektra ist, soll Harig Vorstandsvorsitzender der neuen Energie-Holding werden. Einen größeren Stromriesen auf deutschem Boden wird es nicht geben.

„Ich möchte meine Verwunderung kundtun“, sagt Harig.

Immerhin waren sie anständig genug gewesen, ihn so frühzeitig zu informieren, dass seine Sekretärin das Ticket noch stornieren konnte. Tacke, der Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium, sagte am Vorabend ab, so etwa 20 Stunden vor Veranstaltungsbeginn. Trittin fällte seine Entscheidung fast zeitgleich: Auch der Bundesumweltminister würde der Podiumsdiskussion über das Ende der Atomenergie in Deutschland fernbleiben. Termingründe halt.

Termingründe zu einer Zeit, da die Verhandlungen zwischen Bund und Atomindustrie auf Eis liegen, das angetaut zu nennen eine Beschönigung wäre. Blieben Bürgerinitiativler und Politiker aus der zweiten Reihe, mit denen Harig, der Konzernchef, um Positionen streiten sollte. Seit Wochen hatten Einladungsschreiben und Plakate das Gegenteil verkündet.

Also blieb auch Harig daheim in seiner Konzernzentrale in Hannover. Er räuspert sich. „Ich hätte wirklich gern mit denen diskutiert.“ Was genau? „Dass ich in meiner Position nicht die Verantwortung dafür trage, die Kernenergie zu erhalten, sondern ein Unternehmen zu führen – und zwar wirtschaftlich.“ Dass er deswegen zu vielem bereit ist, außer zu finanziellen Verlusten. Die aber eintreten, wenn er seine Meiler vor ihrem natürlichen technischen Ende vom Netz nimmt und dafür keinen Ausgleich kassiert. Und dass deswegen nicht er es ist, der, wie er schimpft, „Fundamentalopposition“ betreibt, der mauert.

Verschlossenheit kann man ihm tatsächlich schwer vorwerfen. Wer mit Hans-Dieter Harig reden will über ihn und seine Beziehung zur Kernkraft, bekommt in der Regel umstandslos einen Termin, hoch oben im Chefzimmer im siebten Stock der PreussenElektra-Zentrale in Hannover. Ein lichtdurchfluteter Raum, groß wie andernorts Wohnzimmer, der Blick über die niedersächsische Landeshauptstadt ist unverstellt. Vor einem Fenster steht eine Gesundheitsliege für das Kraft spendende Nickerchen zwischendurch; Hans-Dieter Harig, 61, gilt als modern und aufgeschlossen, auch innerhalb seiner Branche. In der Mitte des Büros ein schwarzer Schreibtisch, lang wie eine Tafel, an der der Hausherr Platz zu nehmen bittet. „Ich empfinde große Verwunderung.“

Manchmal ist der Ton nachdenklich. Dann zerknautscht die Stirn. Manchmal klingt er amüsiert. Daher also die Falten um die Augen. Süffisanz, Feixen oder Hochnäsigkeit dagegen schwingen selten mit. Einer, der sich und seiner Sache, der Kernkraft, so sicher ist, hat das nicht nötig. So einer spricht lieber von „Verwunderung“. Als habe ihm das Vorgehen der Politiker die Sprache verschlagen und nur dieses eine Wort zurückgelassen. Schließlich folgt doch noch ein Satz. Einer des Bedauerns: „Alle Fehler, die man sich als Manager vorstellen kann, wurden gemacht.“

„Die waren doch so nah dran.“ Damals, in diesen Tagen des Überschwangs, die dem 27. September 1998 folgten. Erstmalig zog die grüne Partei in die bundesdeutsche Regierung ein und mit ihr der Glaube, dass die Anti-AKW-Bewegung nunmehr am Ziel sei. Auch Hans-Dieter Harig war davon überzeugt. Nicht, weil er mit der neuen Regierung sympathisierte. Nicht, weil er der Kernkraft abgeschworen hätte. Sondern wegen einer inneren Grundhaltung, die mit dem gepflegten Kurzhaarschnitt, der unspektakulären Krawatte und dem schlichten hellblauen Hemd konform geht und in Worte gekleidet so heißt: „Eine funktionierende Demokratie ist wichtiger als die Nutzung der Kernenergie.“

Da sitzt nicht der Chefideologe der Atomlobby. Harig ist die Speerspitze des Liberalismus – solange das Wohl seiner Firma darunter nicht leidet. Seit er 1993 die Führung der PreussenElektra übernahm, schrumpfte er die Zahl der Mitarbeiter und steigerte zugleich kontinuierlich den Umsatz des Unternehmens, teilweise um mehr als fünf Prozent jährlich. Dass er diese Sparlinie, auch und gerade im Personalbereich, nach der Fusion von Veba und Viag eisern fortsetzen wird, bestreiten nicht einmal die Betriebsräte der Konzerne.

Wie knallhart Harig sein kann, wird dennoch häufig unterschätzt. Vielleicht liegt es an seinem freundlichen Plauderton. „Wir handeln nicht mit Kernenergie, sondern mit Strom“, erzählt Harig beim Zusammentreffen mit Politikern und Journalisten immer wieder gern, und erwähnt sodann wie beiläufig, wie er 1995 das AKW Würgassen stilllegen ließ. Der Meiler hatte sich halt nicht mehr rentiert. Der Mann, loben selbst grüne Politiker, „ist mit seinen AKWs nicht verheiratet“. Eine gute Voraussetzung für Verhandlungen. Eigentlich.

Die Hoffnung, Harig könne deswegen der Wind- und Sonnenenergie mehr abgewinnen als ein rein wirtschaftliches Interesse, ist freilich kühn: Seit Jahren klagt die PreussenElektra gegen das Stromeinspeisungsgesetz, das den Windmüllern feste Abnahmepreise für ihren Strom garantiert. Harig findet das Gesetz „ungerecht“. Nicht wegen der Subvention an sich; schließlich hat er die jahrelang selbst kassiert: „Natürlich wäre auch die Kernenergie marktwirtschaftlich nie auf eigene Füße gekommen.“ Aber wenn schon Förderung, dann aus dem öffentlichen Staatssäckel. Und nicht auf seine privatwirtschaftlichen Kosten. Es geht ums Geschäft. Nicht um Leidenschaft.

Und nun auch noch diese Enttäuschung in Sachen Ausstieg. „Man geht doch nicht in Konsensverhandlungen, um einander zu schikanieren.“ Die Irritationen über das Hin und Her der Regierung, über den internen Zwist von Rot und Grün sitzen tief. Harig will eine klare Linie, die Sicherheit, dass er seinen Atomschrott irgendwo günstig loswerden kann und – viel Geld. Dreistellige Millionensummen sind im Gespräch, als Entschädigung. Wenn er denn schon seine Meiler abschalten soll, wofür es keinen plausiblen Grund gibt. Unternehmerisch gesehen, versteht sich. Aber nichts davon sei bislang eingetreten, und deshalb knurrt der Boss recht bedrohlich: „Ich habe überhaupt keine Meinung darüber, welches Kernkraftwerk zuerst vom Netz geht, weil ich kein Konzept sehe.“

Die Zeiten, da Hans-Dieter Harig sich das Leben damit schwer machte, Andersdenkende von den Vorzügen seiner Reaktoren überzeugen zu wollen, liegen lange zurück, so etwa dreieinhalb Jahrzehnte. Harig, damals Ende 20, zieht das große Los: Mitten in den französischen Alpen, am renommierten Centre d‘Études Nucléaires de Grenoble, ergattert der Maschinenbaustudent aus Deutschland ein Plätzchen zum Promovieren. Der ehrgeizige Doktorand avanciert zum Projektingenieur für ein deutsch-französisches Hochflussreaktorprojekt. „Für einen jungen Menschen ist das ein ungeheuer faszinierendes Gebiet.“ Eine hochmoderne Anlage konzipieren zu dürfen und dann auch noch mitzuerleben, wie es realisiert wird, unter großen technischen Anstrengungen und noch größeren gesellschaftlichen Vorbehalten, „es gibt keine Lösung ohne Nachteile, aber wir haben die Kernenergie als die relativ bessere Lösung erkannt“. Er klingt fast ehrfürchtig, auch jetzt noch, 35 Jahre danach.

So einer macht Karriere: Kernforschungsanlage Jülich, Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk, Ruhrkohle-Tochter Steag, Veba-Konzern, schließlich Vorstandsvorsitzender der PreussenElektra. So einer verteidigt seine Kraftwerke und den Transport ihrer radioaktiven Abfälle – im Zweifel mit Hilfe von Polizei, Schlagstöcken und Wasserwerfern. Es gibt keine Lösung ohne Nachteile.

Aber er erkennt auch Fehler: „Weil man glaubte, es technisch erkannt zu haben, ist man besserwisserisch aufgetreten.“ Gegenüber Menschen, die Angst hatten. Um ihre Kinder, um die Umwelt. Die Debatte war emotionalisiert wie kaum eine andere der 80er-Jahre, Harig parierte sie mit technischen Argumenten. Das hatte er als Ingenieur gelernt. Das konnte nur schief gehen. Das Verständnis kam erst später: „Wir haben da Dinge angerührt, die weit über die zeitlichen Dimensionen hinausgehen, in denen wir normalerweise denken.“

Für ein Zurück auf Los ist es zu spät. Harig weiß das. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung wollen Umfragen zufolge den Ausstieg. „Die Positionen sind, wie sie sind.“ Seine immerhin wurde versöhnlicher. „Im fortgeschrittenen Alter lässt man sich nicht mehr so ärgern.“ Nur manchmal, „da trifft es einen“, sagt er und meint sich: Wenn er als „gewissenlos“ oder gar als „Mörder“ bezeichnet wird. Beispielsweise von Menschen, die mit einem schlimmen Verdacht und in kurzer Entfernung zum AKW Krümmel in der Elbmarsch leben: Neun Kinder und drei Erwachsene sind seit 1989 in einem Umkreis von fünf Kilometern um den Reaktor an Leukämie erkrankt. Die Häufung ist bundesweit beispiellos, über ihre Ursache rätseln und streiten Experten seit zehn Jahren.

Es gibt Politiker und Manager, die in solchen Gesprächssituationen rührselig von ihren eigenen Kindern zu erzählen anfangen. Als beweise das ihr Verantwortungsgefühl und ihre Sorgfalt. Harig hat zwei Töchter und einen Enkel. Er erwähnt sie nicht. Stattdessen sagt er: „Wenn alle Fakten gegen Krümmel als Ursache sprechen, bringen mich diese Vorwürfe nicht um den Schlaf.“

Seine Bereitschaft, den Abschied von den Meilern aktiv voranzutreiben, ist entsprechend uneuphorisch. „Ich hielt und halte es für vermessen, auszusteigen.“ Weil eine Industrienation nicht ohne Not ihre Marktführerschaft aufgibt in einer Technik, die sich prima exportieren lässt. Weil die politische Entscheidung Deutschlands nicht verhindern wird, dass AKWs südlich und östlich Europas weiterhin aus dem Boden schießen. Weil Ingenieure wie Harig um die Risiken der Stromerzeugung durch Kernspaltung wissen und ruhiger schliefen, würden die Anlagen zumindest unter ihrer Aufsicht hergestellt. Und schließlich auch, die Stimme wird beschwörend, „weil ich mich noch gut an die Erdölkrise von 1973 erinnere“. Kernkraft, das war für Harig und Teile seiner Generation mehr als ein neuer Energieträger. Sie bedeutete das Ende der Willkür unberechenbarer Ölmultis. Sie war Freiheit, Unabhängigkeit, Preisstabilität in einem. Vielleicht so etwas wie der Butterberg für die Nachkriegsgeneration.

Auch heute würde Harig, stünde er vor der Entscheidung, auf keinen Fall gänzlich auf den Neubau von Kernkraftwerken verzichten wollen. „Wir brauchen einen Energiemix, und die Leute wollen billigen Strom.“ Er macht eine Pause. „Es wäre also unaufrichtig zu sagen, dass ich mich auf die regenerativen Energien stürze.“

Sein Blick wandert wie ziellos über den langen Schreibtisch, haftet schließlich an einem Gegenstand: einem Windrad in Miniaturausgabe, die Rotoren solarbetrieben. Diesmal ist nicht er es, der seine Verwunderung kundtun möchte. Harig lacht. So ein Tischventilator ist schon eine feine Sache. Zumal als Werbegeschenk. Nicht die relativ schlechtere Lösung jedenfalls.

Zitat:„Es gibt keine Lösung ohne Nachteile, aber wir haben die Kernenergie als die relativ bessere Lösung erkannt. Das ist bis heute so.“