Kindergeld als Pfund im Bundesrat

Finanzminister Eichel will Sozialhilfeempfängern das Kindergeld vorenthalten – damit er beim Sparpaket „Verhandlungsmasse“ in der Länderkammer hat  ■   Von Christian Füller

Berlin (taz) – Finanzminister Eichel telefoniert dieser Tage intensiv mit der Bundestagsfraktion der SPD. Ziel der Telefonseelsorge sind fünf sozialdemokratische Abgeordnete, die sich nach Eichels Ansicht ein wenig zu stark für ein bestimmtes Anliegen engagieren: Angeführt von der Familienrichterin Margot von Renesse wollen die SPD-Parlamentarier erreichen, dass die neuerliche Kindergelderhöhung von Rot-Grün auch einen Beitrag gegen die Kinderarmut leistet. Wie berichtet, kommt der 20-Mark-Aufschlag zur staatlichen Nachwuchsförderung ausgerechnet bei den 1,1 Millionen Kindern in Sozialhilfe nicht an – die Kommunen ziehen Stützeempfängern das Kindergeld kurzerhand wieder ab.

Renesse und Co. zeigen sich von Eichels Intervention unbeeindruckt. „Ich halte mich für souverän genug, zu prüfen und dann selbst zu entscheiden“, wehrt etwa Nikolette Kressl den Verdacht der Einflussnahme ab. Kressl, zweite Finanzsprecherin der Fraktion, hält es für sinnvoll, an Sozialhilfeempfänger mit Kindern einen „Betreuungsanteil“ auszuzahlen, wie ihn das Bundesverfassungsgericht im Januar für Familien gefordert hatte. Das wäre ein Argument dafür, so Kressl, die Kindergelderhöhung an die Eltern am Existenzminimum tatsächlich weiterzugeben. Aber: Erst müsse geprüft werden – zum Beispiel, ob das so genannte Lohnabstandsgebot zu Geringverdienern durch den 20-Mark-Aufschlag nicht verletzt ist.

Komplizierte familienpolitische Argumente spielen für den Finanzminister allerdings keine Rolle. Er will gar nicht, dass der staatliche Kinder-Obolus bei den Armen ankommt – er braucht ihn für die Kommunen. Die machen, so haben es die Rechenkünstler aus seinem Ministerium ausgerechnet, durch das eingezogene Kindergeld ein jährliches Plus von rund 200 Millionen Mark. „Das braucht der als Pfund in den Bundesratsverhandlungen im November“, verrät ein Koalitionsabgeordneter die Strategie Eichels.

Die versteckte Subvention für Städte und Gemeinden soll dem Finanzminister den Rücken frei halten. Wenn Städtetag und Kommunalverbände im Bundesrat zum Lamento anheben, dass sie das Sparpaket kommendes Jahr 570 Millionen Mark kostet, hat Sparkommissar Eichel ein prima Gegenargument: das Kindergeld. „Durch die Erhöhung“, heißt es in einem hausinternen Papier, das der taz vorliegt, „dürften die Kommunen knapp 200 Millionen Mark jährlich einsparen.“ Und weiter: Mit der bereits vollzogenen Erhöhung des Kindergeldes um 30 Mark zum 1. Januar 1999 werden die Gemeinden damit in der Sozialhilfe in Höhe von knapp 500 Millionen jährlich entlastet.“

Das Eichelsche Tauschgeschäft auf dem Rücken von über einer Million armer Kinder haben die Sozialverbände bereits geahnt. „Sie müssen die Millionenverluste für die Kommunen kompensieren“, warnte Heinz Hilgers vom Kinderschutzbund bei einer Anhörung der Grünen-Abgeordneten Ekin Deligöz. Dass das Kindergeld an die Ärmsten der Republik weitergegeben werden muss, steht für Kinderrechtler außer Frage. „Wenn das Kindergeld erhöht wird“, sagte Roland Klose vom Diakonischen Werk, „dann muss dies insbesondere im unteren Einkommensbereich wirksam werden.“ Und Sabine Wendt von der Bundesvereinigung von Menschen mit geistiger Behinderung sagte: „Es ist für einen Sozialstaat unwürdig, wenn um solche Bagatellbeträge für Sozialhilfekinder gekämpft werden muss.“

Weiter kämpfen – das wollen auch die SPDler um Margot von Renesse. Ihre Fraktion macht es ihnen allerdings nicht immer leicht. Während die Sozialdemokraten um jeden Pfennig Kindergeld für die Kommunen feilschen, geben sie anderswo einen Batzen Geld aus – so etwa für die Übungsleiterpauschale. Die Steuerbefreiung für diplomierte Feierabendtrainer im Freizeitsport ist der SPD einen eigenen Gesetzentwurf wert. Kosten im Bundeshaushalt: 570 Millionen Mark.