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■ Aus der Begründung der schwedischen Akademie
Als Günter Grass 1959 'Die Blechtrommel‘ herausgab, war es, als wäre der deutschen Literatur nach Jahrzehnten sprachlicher und moralischer Zerstörung ein neuer Anfang vergönnt worden. Auf den Seiten seines ersten Romans wurde eine verlorene Welt wieder erschaffen, (...) die Heimatstadt Danzig, wie sie Grass aus seinen frühen Jahren vor der Katastrophe des Krieges erinnerte. Hier nahm er sich der großen Aufgabe an, die Geschichte seiner Zeit dadurch zu revidieren, dass er das Verleugnete und Vergessene wieder heraufbeschwor: die Opfer, die Verlierer und die Lügen, die das Volk vergessen wollte, weil es einmal daran geglaubt hatte. (...)
Günter Grass hat sich als 'Spätaufklärer‘ bekannt in einer Zeit, die der Vernunft müde geworden ist. Er fabuliert und hält gelehrte Vorträge, er fängt Stimmen auf und monologisiert dreist, er ahmt nach und schafft gleichzeitig eine ironische Mundart, die nur er beherrscht. Durch seine Macht über die deutsche Syntax und seine Bereitschaft, ihre labyrinthischen Feinheiten zu nutzen, erinnert er an Thomas Mann. Sein schriftstellerisches Werk ist ein Dialog mit dem großen Erbe deutscher Bildung, der mit sehr strenger Liebe geführt wird (...)
Sein letztes Buch 'Mein Jahrhundert‘ ist ein Kommentar, der das zwanzigste Jahrhundert fortlaufend bekleidet und einen besonderen Scharfblick für den verdummenden Enthusiamus zeigt. Der Spatenstich des Günter Grass in die Vergangenheit gräbt tiefer als der der meisten, und er findet, wie die Wurzeln des Guten und Bösen miteinander verschlungen liegen.“
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