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Abenteuerreise nach Marzahn

Rock around the art forum: Zur Kunstmesse eröffneten die Kunst-Werke mit einer Nackt-Performance und Eierbrutkästen. Am Potsdamer Platz kann man derweil zu Clubsounds von bauhouse tanzen  ■   Von Harald Fricke

Sie war nackt. Vier Stunden lang. Sie thronte auf einem Fahrradsitz. Vier Stunden lang. Und sie hielt die Balance. Das ergab merkwürdige Kontraste zur Wiedereröffnung der Kunst-Werke. In der neu angebauten Halle, in der nun Wechselausstellungen gezeigt werden sollen, standen einige hundert hübsch gekleidete Mitte- und Kunstmesse-Menschen, die immer wieder hinaufschauten zu Marina Abramovic. In drei Meter Höhe fand ihre Performance „luminosity“ statt: Von Strahlern angeleuchtet verharrte Abramovic in einer erhabenen Position, irgendwo zwischen Galionsfigur, goldenem Schnitt und Artistin unter der Zirkuskuppel. Vor ihr stand ein Topf kochendes Wasser, aus dem strenge ätherische Öle dampften. Kunst soll heilen, Kunst soll rein sein, Kunst soll „luminosity“ haben: Leuchtkraft.

Tatsächlich hat Abramovic mit ihrer schlichten Aktion einige Zuschauer berührt. Michael Naumann zum Beispiel konnte wegen der nackten Künstlerin keine Eröffnungsrede halten, weil ihn der Anblick aus dem Konzept brachte (siehe auch Seite 16). Andere wanderten schnell an den Leuchtkästen von Jeff Wall vorbei, blickten nervös auf Gary Hills videoprojizierte „Viewer“ und drängten sich dann die Treppe ins nächste Stockwerk hoch. Das mag zwar zur Hysterie passen, mit der die Opening-Party in den Kunst-Werken als main event im Umfeld des „art forum berlin“ abgefeiert wurde. Die stete Fluchtbewegung ist aber auch ein Zeichen dafür, wie schnell eine solche Inszenierung auseinander bricht, wenn man Stars aus dem Kunstbetrieb anhäuft – selbst die perfekte Performance wirkt dann kaum mehr als ein Aperçu zum Spektakel.

Tatsächlich sind die Kunst-Werke derzeit übervoll mit aktuellen Videoarbeiten oder seltsamen Nischenobjekten zum Thema „warten“. Von Tamara Grcic gibt es einen „Eierkasten“, der wie im Naturkundemuseum in die Wand eingelassen wurde und sanftes Licht abstrahlt, das die Eier bebrütet. Der Künstler und Regisseur Roland Brus hat sich Habseligkeiten bei Gefangenen der JVA Tegel ausgeliehen, die nun in Kartons verpackt das Warten auf Entlassung dokumentieren. Und auf dem Monitor in einer Lounge-Ecke kann man zusehen, wie Plastiktüten und anderer Verpackungsmüll im „Incidents“-Video von Igor & Svetlana Kopystiansky beiläufig durch die Straßen wehen.

Daneben wirkt die zusätzlich eingerichtete Ausstellung „Sanatorium“ von Carsten Höller wie eine Materialschlacht im Kindergarten. Um die „Kultur des Zweifels“ zugunsten eines „Wohlbefindens in der Ratlosigkeit“ aufzulösen, hat Höller Karussells, Rutschbahnen und ein oranges Plastiklabyrinth im Space-Age-Design der Sixties aufgebaut. Aber die Spielwiese ist eine durch und durch blutleere Angelegenheit, eine Übung in Sachen Ironie – werden Vernissagen-Besucher in ihren Armani-Anzügen und Prada-Kleidern hejuchee-mäßig durch den Kunstverein rutschen? Ja, sie werden, sie haben es getan, denn Spaß gehört dazu, in der neuen Mitte.

Einer ganz ähnlichen Strategie scheint auch der von Klara Wallner kuratierte „art club berlin“ zu folgen. Mitten auf dem Potsdamer Platz, im Infopavillon des „Neuen Berlin“ sogar, findet bis zum Mittwoch jede Nacht ab acht Uhr abends ein Videoprogramm mit locker gesetzten Schwerpunkten statt. Wallner hat 90 Videos quer durch die Produktion der letzten vier, fünf Jahre ausgewählt: Heute werden dabei Filme zwischen Club und Mode gezeigt, morgen geht es mehr um Sampling oder Wiederholung; am Montag schüttelt Torsten Haake-Brandt Barilla-Nudeln, und Dienstag kann man zu den schnell geschnittenen Clips von bauhouse tanzen.

Während die Videos mit verblüffend guter Bildqualität und sehr sattem Sound auf den Boden projiziert werden, ergibt sich schon allein aus den umliegenden Bauarbeiterbuden, Kränen und Rohbauten ein entsprechendes Berlin-Ambiente. Erstaunlicherweise brechen die meisten Künstlerbeiträge trotzdem den Kult um das Leben als Baustelle. Mehr noch, bei Nina Fischer und Maroan El Sani wird spätestens am Dienstag der Partytaumel um halblegale Locations als regressiver Jugendlichkeitsfetisch bloßgestellt. Nichts ist hip an Disco-Abenteuerreisen nach Marzahn. Und auch die Currywurst schmeckt woanders besser. Vielleicht nicht in Mitte, aber in Kreuzberg. An der „Currystation 36“.

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