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Milka ist der Way of Life

Die Deutschschweizer Theater suchen nach Veränderung. Dass es auch dabei nicht ohne Klischees geht, zeigte die Premiere von „Walk About“ in Zürich  ■   Von Tobi Müller

Premierenplanung war für professionelle Theatergänger in Zürich schon länger kein Problem mehr. Basel war vielen schlicht zu weit weg, im touristischen Luzern hielt man sich japanisch sprechende Lokalkorrespondenten, und die BernerInnen verfügen zwar über den beliebtesten Dialekt, doch auf der Bühne reden auch die bloß „Hauchdeutsch“.

Alles fauler Unfug, aber Wohlstand und Langeweile gaben schon immer einen idealen Nährboden für den real existierenden Dadaismus ab. Buebe und Mäitli, tritratrallalla, de Chaschperli isch wieder dada. Jetzt hat es sich ausgekaspert. Vorbei die Zeiten, wo man sich auf ein, vielleicht zwei spannende Häuser konzentrieren konnte, wie zuletzt auf die Erfolgsgeschichte des Theater am Neumarkt in Zürich unter Volker Hesse und Stephan Müller.

Die Königsmacher-Umfrage in Theater Heute adelte eben das Theater Basel unter dem jungen, aus Berlin gekommenen Schauspielchef Stefan Bachmann zum Haus des Jahres; Messias Marthaler wird Ende 2000 das Schauspielhaus Zürich zum Absurden bekehren; Barbara Mundel fängt gerade mutig in Luzern an, und das nun Theater Neumarkt genannte Haus am Neumarkt feierte letzten Mittwoch mit dem Ensembleprojekt „Walk About“ die Eröffnung der Direktion Crescentia Dünsser und Otto Kukla. Währenddessen stellen im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich Leute aus dem ehemaligen Hamburger Kampnagel-Umfeld seit zwei Jahren neue Erzählformen vor, die die (reicheren) Stadttheater ihnen laufend wegzuschnappen drohen. Kurz: Der kleinen Deutschschweiz stehen viele potentielle Theaterblüten ins Haus.

Allerdings importierte. Denn sämtliche DirektorInnen machten sich in Deutschland ihren Namen, wenn auch nicht in derart leitenden Positionen. Das gilt auch für die beiden Schweizer Bachmann und Marthaler. Nicht die eidgenössischen Ressentiments gegen die dominanten Langen aus dem etwas zu groß geratenen nördlichen Kanton sind das eigentliche Problem, denn als Künstler ist der Deutsche willkommen, wie die Thailänderin ja auch. Die wirkliche Frage ist, ob die ästhetischen Neuerungen Bestand haben und auch strukturell zu greifen beginnen – zum Beispiel mit einer umtriebigen Nachwuchsförderung.

Zum einen. Zum andern muss gehofft werden, dass die importierten und ja wirklich wunderbaren KünstlerInnen ein bisschen selbstbewusster auftreten – anstatt bloß die Instant-Soziologen des alpenländischen Raums zu mimen.

Nur vorläufig, aber besorgt sei deshalb nach „Frost“ in Luzern und „Walk About“ im Neumarkt in Zürich folgende bemutternde Mahnung erlaubt: Lasst die Finger vom Schweizer Klischeekram, behauptet nicht einen imaginären Alpenraum, den Ihr nur aus der Milka-Werbung kennt. Weil, das ist schlecht für die Zähne, und dick macht es auch noch. Biss und Muskeln schwinden, und im Kulturkitsch-Zuckerflash wird doch nur ein Gähnen ausgelöst .

Worum geht es? Bei aller Bildergewalt und Fiebrigkeit, mit der die Hamburgerin Sandra Strunz in Luzern Thomas Bernhards Erstlingsroman „Frost“ auf die Bühne bringt, und trotz der völlig anderen Thematik in Dünsser und Kuklas Zürcher Einstand „Walk About“: Das Gejodel und die inzestuösen Alpenbewohner und -innen mit grotesken Ärschen und Brüsten in Luzern, die Mini-Chalets, Wanderschuhe und Befindlichkeitsprosa in Zürich nerven unnötig und verstellen für viele den Blick auf die eigentliche Theaterarbeit.

In Luzern ist die wenigstens schon im Gange, die Premieren und Projekte jagen sich, es gibt Theater, worüber sich zu streiten lohnt. Das Theater Neumarkt hingegen verlässt man weitgehend ratlos. „Walk About“ ist ein einziger ästhetischer Aufschub, ein streckenweise sympathischer, aber ziemlich nichtssagender Abend, was die Handschrift der neuen Direktion betrifft. Gedacht war eine Art Vorstellungsrunde für das siebenköpfige Ensemble plus Gast; ein Briefroman über neun Monate im zeitgenössischen Format: Zwischen Ende November und Anfang August 99, also zwischen Vertrag und Ankunft in Zürich, beantworteten die SchauspielerInnen schriftlich 20 Fragen, die ihnen das private wie künstlerische Paar Kukla/Dünsser brieflich gestellt hatten. Welche Vorsätze haben Sie für das neue Jahr, welches ist Ihr Lieblingsgedicht, was ist Ihr momentaner Lebensraum und -traum. Was Ihr momentanes Trauma? Und so weiter.

Die Texte wurden wohl eingestrichen, aber nie verändert. Die Bühne ist eine Baustelle und karg (Anfang!), es gibt mobile Gestänge mit Scheinwerfern dran (Transparenz!) und viel, viel gesuchten Blickkontakt: Es soll eine Einladung sein, doch keine Regie auf der Welt scheint verhindern zu können, dass wir am Ende doch nur Texte der SchauspielerInnen hören, die trotz gleichzeitigen Wimmelbildern enorm ausgestellt werden, und dass wir uns letztendlich nur noch bei Sympathien aufhalten können.

„Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler, Ihre LieblingsschauspielerIn?“, blinken die Monitoren einmal. Man fühlt sich angesprochen, trifft seine Wahl. Doch nach einer Auseinandersetzung mit der Wettbewerbssituation, wie sie etwa die Girlgroup She She Pop aus Hamburg und Berlin konsequent zum Thema erhebt, sucht man dann doch vergebens.

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